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Auf Konfliktkurs. Wie es zwischen der Schweiz und der EU nach dem Referendum weitergeht, ist ungewiss.

© dpa

Nach Schweizer Referendum: Auslandschweizer befürchten Einschränkungen

Schweizer haben in Deutschland dieselben Rechte wie EU-Bürger. Elisabeth Michel, Präsidentin der Auslandschweizer, befürchtet Verschlechterungen.

Frau Michel, wie viele Auslandschweizer leben in Deutschland?

Es sind zwischen 75 000 und 80 000. Dabei haben rund zwei Drittel sowohl die Schweizer als auch die deutsche Staatsangehörigkeit.

Hat es Sie überrascht, dass Ihre Landsleute am Sonntag der Initiative „gegen Masseneinwanderung“ zugestimmt haben?

Ich war nicht überrascht. Ich hatte Angst davor, dass es zu diesem Ergebnis kommen würde. Wir Auslandschweizer hatten bis zum Schluss gehofft, dass die Schweizerische Volkspartei (SVP) nicht mit ihrer Initiative erfolgreich sein würde.

Am Ende haben aber doch die Befürworter der Initiative gesiegt. Was hat dafür den Ausschlag gegeben?

Die SVP macht eine sehr geschickte, populistische Politik. Die Partei hat Unmengen Geld zur Verfügung für Kampagnen jedweder Art. Dahinter steckt der ehemalige SVP-Präsident Christoph Blocher. Er spendet seiner Partei für derartige Zwecke Millionen – da kann kaum einer mithalten. Die Partei hat den Dreh heraus, wie man Ängste in der Bevölkerung schüren kann. Wenn man bei klarem Verstand abstimmen würde, käme ein derartiges Ergebnis gar nicht zu Stande.

Die Befürworter der Initiative argumentierten, dass die Zuwanderung zu einer Zersiedlung der Landschaft führe.

Ich selber erlebe bei meinen Aufenthalten in der Schweiz natürlich auch, dass all die Flächen, die in meiner Kindheit grün waren, inzwischen zugebaut sind. Aber das kann man nicht den Zuwanderern zur Last legen, sondern hat seine Ursache in einer verfehlten Raumordnungspolitik.

Sie leben seit 1975 in Deutschland und verfolgen weiter aufmerksam, was in Ihrer ehemaligen Heimat geschieht. Hat sich in den letzten Jahrzehnten das Klima in der Eidgenossenschaft gegenüber Einwanderern verschärft?

Es gab immer Regionen in der Schweiz, wo ein konservatives Denken nach dem Motto „Wir Eidgenossen“ sehr ausgeprägt ist. Da findet man auch ein Verhalten, das eine Herrschaft durch „fremde Herren“ ablehnt – wie man es schon bei Wilhelm Tell nachlesen kann. Es gab immer Regionen, deren Bewohner gegen Ausländer waren und wo die angestammte Bevölkerung den Zuzüglern das Leben schwer gemacht hat. Ende der Neunzigerjahre kamen im Zuge der Balkan-Kriege viele Kosovaren zu uns – und schnell kamen auch Pauschalurteile über kriminelle Ausländer auf, die von der Realität nicht gedeckt waren. In der jüngsten Kampagne der SVP sind einfach die unterschiedlichen Gruppen von Menschen, die in das Land kommen, wild miteinander vermengt worden: Asylbewerber, Flüchtlinge und sonstige Einwanderer. Die SVP fordert nun, dass es Kontingente für alle diese Gruppen geben soll. Zudem ist die Behauptung der Initiativen-Befürworter falsch, dass die Zuwanderer den Schweizern Arbeitsplätze wegnehmen würde: Wenn es qualifizierte Schweizer gibt, die die entsprechenden Stellen übernehmen können, dann finden sie auch einen Arbeitsplatz.

Elisabeth Michel, Präsidentin der Auslandschweizer-Organisation (ASO) in Deutschland.
Elisabeth Michel, Präsidentin der Auslandschweizer-Organisation (ASO) in Deutschland.

© Recherche/Dokumentation

Woran liegt es, dass häufig Zuwanderer in der Schweiz auf dem Arbeitsmarkt zum Zuge kommen?

Die Schweiz hat einfach genug Arbeit anzubieten. Kein EU-Bürger käme in die Schweiz, wenn er da nicht Arbeit hätte. Wenn diese Stellen nicht mehr zur Verfügung stehen, kommen die Menschen auch nicht mehr. Ich glaube, dass kontingentiert sich ganz von allein. Wenn wir in der Schweiz viele Mediziner und Pflegekräfte aus Deutschland haben, dann liegt das nicht zuletzt daran, dass in Deutschland die Politik das Gesundheitswesen in Grund und Boden fährt. Ich komme selbst aus dem Gesundheitswesen; ich bin seinerzeit in der Schweiz als Krankenschwester ausgebildet worden.

Und das Argument der Befürworter der Initiative „gegen Masseneinwanderung“, wonach inzwischen beim Ausländeranteil ein gewisses Limit erreicht wurde, überzeugt Sie nicht?

Wir hatten immer einen hohen Ausländeranteil – was auch mit der Einbürgerungspolitik zu tun hat.

Welche Folgen könnte das „Ja“ zur Initiative für die Auslandschweizer haben?

Zunächst einmal ist es so, dass die Schweizer seit dem Inkrafttreten der Personenfreizügigkeit 2002 in Deutschland wie EU-Bürger behandelt werden. Wie andere EU-Bürger bekommen wir beispielsweise nach fünf Jahren eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung. Wir genießen EU-Recht: Wir können uns selbstständig machen, wir können uns niederlassen, wo wir wollen. Das konnten wir vorher auch, aber wir musste Fristen einhalten und Bewilligungen bei den Ämtern einholen. Als ich beispielsweise nach Deutschland kam, musste ich mir beim Arbeitsamt eine Arbeitserlaubnis holen – und dies ging nur, wenn ich einen Arbeitgeber vorweisen konnte. Nun dürfte der bürokratische Aufwand für die Auslandschweizer wieder zunehmen. Denn schließlich haben die Ausländerbehörden in Deutschland den Spielraum, bei den Schweizern durchaus wieder eine schärfere Gangart einzuschlagen. Das könnte in erster Linie diejenigen Schweizer treffen, die ab dem Zeitpunkt des Referendums nach Deutschland ziehen.

Wie geht es nun zwischen Bern und Brüssel weiter?

So sehr das Abstimmungsergebnis von gestern uns alle schockiert, spiegelt es doch die Einstellung und Meinung der Bürger in ganz Europa wider, wie seinerzeit die Minarett-Initiative oder die Abzocker-Initiative, die beide angenommen wurden. So hoffe ich, dass das Ergebnis nun nicht zu einem „Muskelspiel“ oder Kräftemessen zwischen der EU und der Schweiz wird. Vielmehr sollte das Ergebnis auch Brüssel und die EU-Mitgliedstaaten zum Nachdenken darüber bringen, dass diese Probleme, die in der Schweiz offen - wenn auch populistisch - formuliert wurden, in der gesamten EU schwelen. Jetzt sollte es darum gehen, die Probleme humaner zu lösen - und zwar so, dass sie allgemeine Akzeptanz  finden. Schließlich hat diese Abstimmung auch deutlich gezeigt, dass vielerorts an der Basis vorbei regiert wird.

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