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Politik: Nach seinem Geständnis in Berlin reiste Helmut Kohl als Wahlhelfer nach Lübeck - und wurde mit Jubel begrüßt, als sei nichts geschehen

Als Helmut Kohl am Dienstagabend die vollbesetzte Lübecker Musik- und Kongresshalle betrat, geschah ihm Gutes: Um die 2000 Menschen erhoben sich von ihren Sitzen, jubelten, klatschten und riefen "Helmut, Helmut". Eine Blaskapelle intonierte das Lied von den Heiligen, die hereinmarschieren, und brachte auf diese Weise unfreiwillig einen Hauch von Satire in die Hochstimmung.

Als Helmut Kohl am Dienstagabend die vollbesetzte Lübecker Musik- und Kongresshalle betrat, geschah ihm Gutes: Um die 2000 Menschen erhoben sich von ihren Sitzen, jubelten, klatschten und riefen "Helmut, Helmut". Eine Blaskapelle intonierte das Lied von den Heiligen, die hereinmarschieren, und brachte auf diese Weise unfreiwillig einen Hauch von Satire in die Hochstimmung. Der örtliche Kreisvorsitzende begrüßte den "Kanzler der deutschen Einheit", dessen Gesicht - an diesem Tag vermutlich zum ersten Mal - so etwas wie Genugtuung erkennen ließ.

Der Spitzenkandidat für die schleswig-holsteinische Landtagswahl und stellvertretende CDU-Vorsitzende Volker Rühe, durch Parteikrise und Wahlkampf in besonderem Maße strapaziert, sah es mit Freuden. Der Termin in der Hansestadt war schon vor geraumer Zeit angesetzt worden und als Höhepunkt gedacht für den Wahlkampf des örtlichen CDU-Bürgermeisterkandidaten Hans-Achim Roll, der am kommenden Wochenende gegen den Sozialdemokraten Bernd Saxe antritt. Der Kandidat konnte zufrieden sei, denn Berlin war an diesem Abend für die Freunde des einstigen Bundeskanzlers fern und die Veranstalter bemühten sich wacker, keine schlechte Stimmung aufkommen zu lassen. Von Spenden und schwarzen Konten kein Wort.

Nur indirekt ging Kohl mit wenigen dürren Worten auf die Berliner Ereignisse vom Vormittag ein: "Ich habe auch Fehler gemacht, dazu stehe ich. Wenn man Fehler macht, muss man auch Verantwortung übernehmen." Doch dann war er schon wieder bei seinem Thema, der deutschen Einheit. Im Publikum wurde es ruhiger. Nostalgie machte sich breit. Auch von Volker Rühe nur wenige Worte zur Spendenaffäre. Es sei eine schwierige Sitzung gewesen am Vormittag in Berlin, Kohl habe die Kraft gehabt, sich zu Fehlern zu bekennen und er sei trotz des herrschenden Gegenwindes nach Lübeck gekommen. Die Partei werde sich nichts gefallen lassen, "wenn es um die Diffamierung unseres Kanzlers geht". Ansonsten Versatzstücke aus seinen Wahlreden.

An einem allerdings kühlte der Spitzenkandidat für die Landtagswahl sein Mütchen ganz besonders: an dem Nobelpreisträger Günter Grass. Der hat sich in einer Wählerinitiative für die Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) engagiert und zudem Rühe als einen "Rambo" beschrieben. Rühe nahm sich die Kritik des Schriftstellers an der deutschen Einheit vor und riet Heide Simonis: "Wer sich politisch so geirrt hat, von dem sollten sich die Sozialdemokraten lieber trennen." Die Bücher von Grass werde er allerdings weiter gerne lesen.

Nahezu gerührt sprach Rühe auch noch am späten Abend in einem Fernsehinterview vom Auftakt des Kohlbesuches, einem Bummel durch die vorweihnachtlich geschmückte Altstadt Lübecks. Unter Führung eines klassischen Lübecker Nachtwächters war Kohl, an der Seite von Rühe und Bürgermeister-Kandidat Roll, durch die Straßen und alten Gassen gezogen, verfolgt von einem Heer von Fotografen und Kameraleuten, die den Nachtwächter alsbald in den Hintergrund drängten. Es gab ermunternde Zurufe, auch einige Pfiffe. Im Café eines bekannten Marzipanherstellers gegenüber dem alten Rathaus ließen sich die inzwischen angespannt und erschöpft wirkenden Gäste bei Marzipantorte und Kaffee nieder. Das vorwiegend ältere Publikum zeigte sich von dem Besuch angetan, aus einem Lautsprecher klang "Oh, du Fröhliche."

Am Sonntag wird nun in Lübeck gewählt. Umfragen zufolge liegt der CDU-Kandidat Roll, zu Kohls Kanzlerzeiten Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt, vor dem Sozialdemokraten Saxe, der Lübeck gegenwärtig als Landtagsabgeordneter in Kiel vertritt. Keiner sagt es ganz offen, aber natürlich gilt die Kür des Bürgermeisters jetzt nicht nur als Test für die Landtagswahl am 27. Februar, sondern sie soll auch erste Antworten auf die Frage geben, wie sich die Spendenaffäre auf den Kurs der Parteien ausgewirkt hat.

Karsten Plog

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