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Keskin

© dpa

Nach Tagesspiegel-Interview: Empörung über Haftstrafe für Eren Keskin

In einem Tagesspiegel-Interview hatte sie sich kritisch über den Einfluss der türkischen Armee geäußert - jetzt ist die Menschenrechtlerin Eren Keskin wegen "Verunglimpfung des Türkentums" zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Die Tagesspiegel-Chefredaktion kritisiert das Urteil scharf - und auch die Politik reagiert empört.

Ein türkisches Gericht hat die Menschenrechtlerin Eren Keskin aufgrund eines Interviews mit dem Tagesspiegel zu sechs Monaten Haft wegen Verunglimpfung des Türkentums und der Türkei verurteilt. Keskin war in Istanbul wegen Verletzung des umstrittenen Strafrechtsparagrafen 301 angeklagt, weil sie im Juni 2006 in dem Interview den Einfluss der Armee auf die türkische Politik kritisiert hatte. Nach dem am Donnerstag nach kurzer Verhandlung verhängten Urteil kündigte Keskin Berufung an. Sie hatte 2004 den Aachener Friedenspreis für ihren couragierten und gewaltlosen Einsatz für Frieden und Menschenrechte erhalten.

"Der Wunsch der Türkei, in die EU aufgenommen zu werden, wirkt vor dem Hintergrund dieses Urteils unverständlich. Denn die Strafe für Eren Keskin ist eines demokratischen Rechtsstaats, der die Meinungsfreiheit achtet, unwürdig", erklärten die Tagesspiegel- Chefredakteure Stephan-Andreas Casdorff und Lorenz Maroldt zu dem Urteil am Donnerstag in Berlin.

"Was hier geschieht, hat mit Demokratie nichts zu tun."

Das Urteil gegen Keskin löste unter deutschen Politikern deutliche Kritik aus. EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU) sagte dem Tagesspiegel: "Es gehört zur Meinungsfreiheit in der Demokratie, dass man politische Bewertungen vornimmt." Die EU erwarte, dass die Türkei den Strafrechtsparagrafen 301 abändere. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte der Zeitung: "Was hier geschieht, hat mit Demokratie nichts zu tun." Sie forderte eine kritische Diskussion über die Rolle des Militärs in der Türkei.

Keskin habe in der Verhandlung bekräftigt, dass die Armee in der Türkei zuviel Einfluss auf Politik und Justiz habe, sagte eine Prozessbeobachterin. Diese Meinung habe sie als politische Kritik geäußert und ohne beleidigende Absicht, sagte Keskin demnach. Der Schuldspruch zeige, wie eng die türkische Justiz dem Militär verbunden sei. Das Urteil habe von Anfang an festgestanden, zumal der Prozess auf eine Strafanzeige vom Generalstab der Armee zurückgehe. Gegen Keskin, die selber Anwältin ist, läuft wegen der Äußerungen im Tagesspiegel außerdem noch ein Disziplinarverfahren bei der Anwaltskammer Istanbul. Der Rechtsanwältin droht dabei ein faktisches Berufsverbot.

Keskin ist aktives Mitglied des türkischen Menschenrechtsvereins IHD. 1997 gründete sie vor allem für kurdische Frauen, die von Sicherheitskräften missbraucht wurden, ein Rechtshilfeprojekt. Ihre Arbeit brachte ihr vorübergehend ein Berufsverbot und viele Morddrohungen ein. Die türkische Regierung hat bereits mehrfach angekündigt, den umstrittenen Artikel 301 zu ändern. Die Europäische Union mahnt dies immer wieder an. (jam/dpa)

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