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© Thilo Rückeis

Nach umstrittenen Äußerungen: Für Sarrazin wird es eng

Abfällige Aussagen über in Deutschland lebende Türken könnten für Thilo Sarrazin Folgen haben: Bundesbank-Präsident Axel Weber legte dem Ex-Senator indirekt den Rücktritt aus dem Vorstand nahe. Auch die SPD verliert die Geduld

Das Wort „Rücktritt“ nimmt Bundesbank-Präsident Axel Weber in Istanbul nicht in den Mund, auch in der Berliner SPD-Spitze ist es am Sonnabend nicht zu hören, zumindest nicht explizit. Aber unausgesprochen legen Weber und Co. ihrem Vorstandskollegen Thilo Sarrazin am Rande der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in der türkischen Metropole den Rücktritt nahe, und auch führende Berliner Sozialdemokraten machen deutlich, dass ihre Geduld mit dem Parteifreund langsam am Ende ist.

Sarrazins abfällige Äußerungen über Berlin und hier lebende Einwanderer in der Zeitschrift „Lettre International“ sind zwar schon ein paar Tage im Umlauf. Aber am Sonnabend führen sie zu den bisher schärfsten Reaktionen. „Der Bundesbank ist ein Reputationsschaden entstanden, der schnell wieder korrigiert werden muss“, sagt Bankpräsident Weber am Samstagmorgen mit starrer Miene im Istanbuler Nobelhotel Hyatt.

Der IWF tagt ausgerechnet in dem Land, über dessen Bürger sich der ehemalige Berliner Finanzsenator ausgelassen hat. Sarrazin hatte gesagt, 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin würden den deutschen Staat ablehnen. „Eine große Zahl an Arabern und Türken hat keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel, und es wird sich auch vermutlich keine Perspektive entwickeln.“ Und weiter: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“

Das provoziert am Sonnabend eine in der sonst so diskreten Bankbranche ungewöhnlich klare Entgegnung. „Jeder in der Bundesbank, vom einfachen Bargeld- Sachbearbeiter über den Chauffeur bis hin zur Spitze, muss seinen Beitrag zum Ansehen der Bundesbank leisten“, sagt Präsident Weber. Sarrazins Äußerungen seien mit dem Verhaltenskodex der Bundesbank nicht vereinbar. Er betont zwar, Sarrazins nachgeschobene Entschuldigung sei angemessen gewesen. Aber eigentlich, das wird allein durch die Miene des obersten Bundesbankers deutlich, ist ihm das noch nicht genug. Jeder, und damit auch Sarrazin, müsse mit sich „ins Gericht gehen“, ob sein Handeln das Ansehen der Bundesbank fördere.

Ähnlich sind die Reaktionen bei Berlins SPD-Spitze. Nachdem am Freitag die SPD Alt-Pankow ein Parteiordnungsverfahren gegen Sarrazin wegen seiner als fremdenfeindlich und parteischädigend eingeschätzten Äußerungen eingeleitet hat, muss jetzt Sarrazins Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf entscheiden, wie es weitergeht. Dessen Vorsitzender Christian Gaebler, einer der führenden Köpfe der Berliner SPD sowie deren Fraktionsgeschäftsführer im Abgeordnetenhaus, sagt etwas, das ähnlich wie bei Bankpräsident Weber zumindest indirekt nach einer Rück- oder Parteiaustrittsforderung klingt. Sarrazin müsse „sich überlegen, ob er zu den Grundwerten der SPD steht oder nicht“. Dessen Äußerungen seien „indiskutabel“. Damit sagt Gaebler, was auch andere führende Sozialdemokraten bis zu Parteichef Michael Müller denken.

Eine Entscheidung über Sarrazins berufliche und politische Zukunft ist frühestens in ein paar Tagen zu erwarten. Am Dienstag treffen sich Sarrazin, Präsident Weber und seine vier Kollegen bei der routinemäßigen Vorstandssitzung. Klar ist: Der Sozialdemokrat mit der allzu lockeren Sprache, der seit 1. Mai bei der Notenbank ist, hat gegen den Kodex verstoßen. Der aber sieht dafür keine Konsequenzen vor. In Istanbul zeigt sich deswegen manch ein Bundesbanker zwischen Häppchen, Bier und Rotwein ratlos. „Man könnte Sarrazin abmahnen“, meint einer. „Das würde klarmachen, dass er nach dem nächsten Fauxpas gehen müsste.“ Aber rausschmeißen kann ihn die Bundesbank nicht. Die Vorstände und damit auch Sarrazin werden letztlich auf Vorschlag von Regierung und Bundesrat vom Bundespräsidenten ernannt.

Die Schiedskommission von Sarrazins SPD-Kreisverband wird sich mit dem Fall befassen, sobald deren Vorsitzende kommende Woche aus dem Urlaub zurück ist, sagt Kreischef Gaebler am Sonnabend. Sarrazins Parteifreund Jens Peter Franke, Abteilungsvorsitzender der SPD Alt-Pankow, hofft auf „eine angemessene Reaktion der SPD“. Sarrazins Äußerungen „stehen den Grundsätzen der SPD entgegen“, heißt es in der Erklärung der Pankower Genossen zum Parteiordnungsverfahren.

Am Bosporus hingegen schlägt Sarrazin bei versammelten Bankern und Unternehmern auch ein wenig Sympathie entgegen. „Ich finde Sarrazin toll, das ist ein intelligenter Kopf“, sagt ein prominenter und angesehener Top-Banker. „Manchmal ist er halt etwas impulsiv.“

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