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Ein türkischer Panzer vom Typ Leopard 2A4.

© XinHuy/dpa

Nach Yücels Freilassung: Verbitterung in der Türkei: Wieviele Panzer sind andere Häftlinge wert?

Dass der Journalist Deniz Yücel so plötzlich in Freiheit ist, lässt in der Türkei die Frage nach anderen inhaftierten Journalisten laut werden.

Mit gemischten Gefühlen reagieren Regierungskritiker in der Türkei auf die Freilassung von Deniz Yücel. Einerseits freuen sie sich darüber, dass der deutsch-türkische Reporter nach einem Jahr Haft seine Zelle verlassen konnte. Andererseits aber stellen sie mit Verbitterung fest, dass andere inhaftierte Journalisten wohl kaum mit ähnlich gnädigen Richtern rechnen können. Offenbar gebe es einen Zusammenhang zwischen deutsch-türkischen Rüstungsgeschäften und dem Fall Yücel, schrieb der Kolumnist Bülent Mumay in der Tageszeitung „Birgün“. Mit Blick auf andere Journalisten hinter Gittern stellte Mumay deshalb die Frage: „Wieviele Panzer müssen wir für sie wohl kaufen?“

Dass die türkische Regierung den monatelang als Agenten und Sympathisanten der verbotenen kurdischen Terrororganisation PKK beschimpften Yücel einfach so und ohne Gegenleistung der Deutschen gehen ließ, glaubt im kleinen Lager der regierungskritischen Presse in der Türkei niemand. Mumay und andere verweisen auf das Joint Venture zwischen der deutschen Rüstungsfirma Rheinmetall und dem türkischen Unternehmen BMC, dessen Chef Ethem Sancak im Vorstand der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan sitzt.

Ein Treffen Merkels mit Erdogan wird nun erwartet

Premier Binali Yildirim, der am Tag vor Yücels Freilassung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin gesprochen hatte, erwartet nun nach eigenen Angaben ein baldiges Treffen der Kanzlerin mit Erdogan. Der türkische Präsident will demnach die Bundesrepublik besuchen, sobald die neue Bundesregierung im Amt ist; zudem werde Merkel in Ankara erwartet, sagte Yildirim. Erdogan selbst, der Yücel öffentlich als „Agenten“ bezeichnete und von vorliegendem Beweismaterial sprach, äußerte sich nicht zu der Freilassung des Reporters.

Fest steht, dass Yücels Fall eine Ausnahme ist, weil die türkische Regierung dem Druck eines wichtigen EU-Landes und Handelspartners ausgesetzt war. Bei anderen Häftlingen gibt es deshalb weniger Hoffnung, vor allem da die Justiz am Tag von Yücels Freilassung die prominenten Kolumnisten Ahmet und Mehmet Altan sowie Nazli Ilicak zu lebenslangen Hafstrafen verurteilte.

Auch Unterstützer des Präsidenten kritisieren die Willkür

Angesichts der Entwicklung rechnet niemand damit, das beispielsweise die seit mehr als einem Jahr eingesperrten Journalisten der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ am nächsten Verhandlungstag am 9. März auf freien Fuß kommen werden. „Das Justizsystem in der Türkei steht unter vollständiger Kontrolle der Politik“, kommentierte die US-Organisation Freedom House, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzt.

Die zunehmende Willkür wird nicht nur von Regierungsgegnern kritisiert. Ilicak zählte lange zu den Unterstützern Erdogans und kämpfte als Parlamentsabgeordnete gegen das Kopftuchverbot. Dass ausgerechnet sie jetzt lebenslang in Haft bleben solle, stoße vielen in der AKP sauer auf, schrieb der Kolumnist Ertugrul Özkök in der „Hürriyet“. Sollte dieser innerparteiliche Unmut wachsen, könnte sich daraus eine Chance für Ilicak entwickeln – weil es eben nicht auf juristische, sondern auf politische Faktoren ankommt.

Regierung gerät unter Beschuss von rechts

Gleichzeitig gerät die Regierung wegen Yücels Freilassung unter Beschuss von rechts. Nach Yildirims Besuch bei Merkel in Berlin sei es „Zack“ gegangen – und Yücel sei aus dem Gefängnis spaziert, sagte Meral Aksener, Chefin der nationalistischen Oppositionspartei Iyi Parti. Entweder sei Yücel ein PKK-Aktivist, der eingesperrt gehöre, oder er sei unschuldig, sagte Aksener: Dann stelle sich die Frage, warum er ein ganzes Jahr in Haft saß. Bisher hat niemand in der Regierung darauf eine Antwort gegeben.

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