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Klares Urteil, große Empathie - Bundespräsident Joachim Gauck

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Nachfolge für Joachim Gauck: Bloß kein bundespräsidialer Kuschelkandidat!

Gauck, der Glücksfall als Bundespräsident, wiederholt sich sicher nicht. Bei der Wahl seines Nachfolgers dürfen die Parteioberen nun nicht das höchste Amt durch einen blassen Langweiler beschädigen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Er regt an und auf, spaltet und versöhnt, verbindet klare Urteile mit großer Empathie. Und das soll nun zu Ende gehen? Joachim Gauck war ein Glücksfall für Deutschland, und es ist zu früh, seine Amtszeit zu bilanzieren. Aber durch die Ankündigung, nicht noch einmal für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren, muss Gaucks Wirken unter die Lupe gelegt werden. Das dient der Selbstvergewisserung über die Frage, wer ihm nachfolgen soll. Doch je mehr Details das Vergrößerungsglas erhellt, desto ernüchternder fällt die Erkenntnis aus: Einen zu finden, der Gauck an Würde, Charisma und Wortmacht ebenbürtig ist, wird schwer. Glücksfälle wie ihn gibt’s nicht auf Bestellung.

Weise Menschen machen reich. Sie eröffnen Verständnishorizonte. Bei Gauck war es die Dualität von Freiheit und Verantwortung, Glaube und Vernunft, Individualität und Gemeinsinn. Es gibt kein Recht auf Wegsehen, Weltabgewandtheit oder Bequemlichkeit, sagte er auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Das globale Ordnungsgefüge zu erhalten, in dem sich Freihandel auf Frieden reime und Warenaustausch auf Wohlstand, sei Deutschlands Kerninteresse.

Gauck konnte die Singularität von Auschwitz und die Verbrechen kommunistischer Verbrechensherrschaft betonen, ohne die Bedeutung des einen oder anderen zu schmälern. Er konnte die Bombennächte von Dresden betrauern, ohne die Alliierten anzuklagen. Mit charmanter Attitüde verachtete er Besser-Wessis wie Besser-Ossis, Finanzhaie und sozialistische Visionäre. Sein Herz stand offen in der Flüchtlingskrise, aber früh wies er auf mögliche Überforderungen und Grenzen der Integrationsbereitschaft hin.

Nur die Linke reagierte gelegentlich etwas pikiert

Bei Sturm umschiffte Gauck jede Klippe, bei Flaute schmiss er den Außenborder an. Die Deutschen dankten es ihm, nur die Linke reagierte gelegentlich etwas pikiert. Armut, Ungleichheit, soziale Gerechtigkeit: Das waren nicht die Themen, die diesen Bundespräsidenten vorrangig umtrieben. Und weder wollte er aus der Nato raus, noch die transatlantischen Bindungen lockern, trotz der NSA.

Nun soll die Bundesversammlung am 12. Februar 2017 einen Nachfolger wählen. Das Datum ist heikel, denn rund ein halbes Jahr später findet die Bundestagswahl statt. Die Entscheidung über das nächste Staatsoberhaupt wird dadurch zum inoffiziellen Auftakt des Bundestagswahlkampfes. Bei dem aber gilt für alle Parteien: bloß kein Lagerwahlkampf, die eigene Identität herausstellen, keine festen Koalitionsaussagen machen!

Würden Union und SPD mit einer Fortsetzung der großen Koalition liebäugeln, verlören beide an Stimmen. Würden Union und Grüne von einer gemeinsamen Koalition träumen, verprellte das einen Teil ihrer jeweiligen Stammwählerschaft. Würden sich Rot-Rot-Grün an einem Bündnis versuchen, endete das in einer Wiederbelebung des alten Bruderzwists. Jeder kämpft für sich allein – und wer anschließend mit wem regiert, sehen wir dann.

In der Bundesversammlung hat keine Fraktion eine Mehrheit. Daran werden wohl auch die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin nichts ändern. Das wiederum heißt, dass für die Wahl des Bundespräsidenten ein Konsenskandidat gefunden werden muss, der keine klaren Rückschlüsse auf Koalitionspräferenzen zulässt. Das Überparteiliche wird zum obersten Qualitätskriterium. Nur der wird gewinnen, gegen den sich am wenigsten Widerstand regt. Die Versuchung liegt diesmal besonders nahe, einen kuschelrepublikanischen Langweiler zu wählen.

Gauck, der Glücksfall, wiederholt sich nicht. Er war seinerzeit von Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel – flankiert von „Welt“, „Spiegel“ und „FAZ“ – eingebracht worden, um Bundeskanzlerin Angela Merkel zu piesacken, die sich für Christian Wulff entschieden hatte. Der Coup gelang. Doch dessen Umstände waren einmalig. Jetzt wartet auf die Parteioberen ein anderer Balanceakt. Sie müssen die Bundestagswahl bedenken, dürfen aber das höchste Amt nicht durch Blässe des Kandidaten beschädigen. Missachtung kommt vor dem Fall: Auch diese Regel sollten sie bedenken.

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