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Bundespräsident Joachim Gauck

© dpa/Wolfgang Kumm

Nachfolge von Bundespräsident Gauck: Es geht nicht ohne Gewissen und Gewissheit

Globalisierung und Digitalisierung pflügen Bekanntes unter, ernst zu nehmende Antworten fehlen oft. Mit dem Amt des Bundespräsidenten verbindet sich die Hoffnung, von dort werde Substantielles geliefert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Das Befremdliche an Gustav Heinemann sei, schrieb 1969 der „Spiegel“, „dass er immer meint, was er sagt“. In seiner nüchternen Art verberge sich „eine nicht sonderlich strahlkräftige, aber völlig verlässliche, fest fundierte Menschlichkeit“.

Beschreibungen, die geeignet sind, Sehnsüchte auszulösen, fast schon Phantomschmerzen. Über welche Person wird heute öffentlich so gesprochen? Gerade wird wieder ein solcher Mensch gesucht, ein Nachfolger für Joachim Gauck im Bundespräsidentenamt. Das ist zuvorderst eine Personalie, auf die sich die im Bundestag vertretenen Parteien einigen müssen, aber ein ganz bisschen sollen auch die Bürger einverstanden sein. Und einer, der wie Heinemann beschrieben würde, fände da sicher Anklang.

Verlässlich, fest fundiert, wahrhaftig. Drei Attribute, die in geregelten Verhältnissen vielleicht langweilig sind. Aber wenn die Gewissheiten wanken, werden sie kostbar. Denn sie versprechen Stabilität. Mit der Globalisierung und der Digitalisierung brechen sich gleich von zwei Seiten permanent Neuerungen Bahn, pflügen im Eiltempo Bekanntes unter. So ist alles dauernd im Wandel, aber ohne erkennbare Richtung, der macht dies, die sagt das, ist das wichtig oder kann das weg? Ernst zu nehmende Antworten bleiben oft aus. Aus der Tagespolitik kommen sie nicht, die ist ihren eigenen Zwängen ausgesetzt, und die Wirtschaft verfolgt ebenfalls eigene Ziele. So verbindet sich immer stärker mit dem Amt des Bundespräsidenten die Hoffnung, von dort würde Substantielles geliefert.

Die einen Kompass haben

Es ist sicher kein Zufall, dass gerade in Zeiten des Umbruchs Pfarrer, Bischöfe und Bundesverfassungsrichter als Kandidaten für das Amt vorgeschlagen werden: Menschen, die auf festen Fundamenten stehen. Auf Bibel und Grundgesetz. Die einen Kompass haben und eine Richtung weisen können. Schnelle Meinungswechsel, Massenanbiederungsgesten oder sonstige Unverbindlichkeiten haben sie nicht nötig. Sie wollen auch nichts verkaufen.

Bibel und Grundgesetz sind größer als der oder die Einzelne im Amt. Das führt zu Haltungen, die nicht dem privaten Vorteil im Hier und Jetzt dienen, die nicht gewinnbringend sein müssen – sondern um ihrer selbst willen eingenommen werden und weit über den Tag hinausreichen. Grundgesetz und das „christliche Abendland“ sind ja auch die beiden Referenzengrößen, die im schrillen Disput um den künftigen Weg des Landes immer wieder beschworen werden.

Vor Gott und dem Gesetz sind alle Menschen gleich, vielleicht spielt auch das eine Rolle bei dem Vertrauensbonus für Bischöfe und Verfassungsrichter. Da wird nicht nach Nützlichkeit und Verwertungspotenzial gesucht, nicht ausgenutzt, nicht manipuliert. Wo sonst kann man sich noch wirklich sicher sein?

Gustav Heinemann war, bevor er im Alter von 70 Jahren der dritte Bundespräsident der Bundesrepublik wurde, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, das ist das höchste Amt, das die Kirche an einen Laien vergibt. Er war auch Bundesjustizminister. Dieser Ministerposten galt lange Zeit als „Gewissen“ des Kabinetts, Bundesjustizminister galten in ethischen Fragen als Autorität. Das hat über die Jahre nachgelassen. Heute wird diese Qualität woanders gesucht. Nicht zuletzt im Schloss Bellevue. Denn ohne das, was Gewissen oder Gewissheit heißt, geht es nicht.

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