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Die baugleiche "Eye of the Wind" ist als zweimastiges Segelschiff für Touristen unterwegs.

© Hans-Peter Bleck

Nachhaltiger Transport: Segelschiffe sollen Containerfrachter ersetzen

Umweltaktivisten setzen auf Wind statt Schweröl und nutzen Frachtsegelschiffe. Wie die „Brigantes“, die gerade auf Sizilien flott gemacht wird.

Wer Frachtsegelschiffe bisher als Relikte längst vergangener Zeiten wahrgenommen hat, wird sein Bild ändern müssen. Eine kleine, aber feine Armada von Drei- und Viermastern fährt wieder hinaus auf die See. Wind statt Schweröl lautet die Devise. Gemeinsam eine bessere Welt schaffen. Zahlungskräftige Touristen verhelfen der kommerziellen Segelschifffahrt schon seit einigen Jahren zu starkem Wind von achtern. Kürzlich kündigte ein Hamburger Reeder den Neubau eines weiteren Großseglers an („Sea Cloud Spirit“). Folgerichtig kreuzen tatsächlich wieder Frachtsegler auf den Weltmeeren auf. Sie bewegen sich mit Leichtigkeit im schweren Fahrwasser steigender Spritpreise und verschärfter Umweltauflagen. Gehört ihnen gar die Zukunft?

Es wird "Metas" drittes Leben sein

Die Kompassnadeln der neuen Frachtsegler weisen zumeist in Richtung Mittelamerika. Da ist jede Menge zu holen: Kautschuk, Kaffee und Kakao zum Beispiel. Oder Rum. Im sizilianischen Trapani wird jetzt das nächste Schiff für ein nachhaltig organisiertes und schadstofffreies Transportwesen flott gemacht, die „SV Brigantes“. SV steht für Sailing Vessel. Sie wurde 1911 auf der Lühring Schiffswerft in Brake bei Bremen gebaut. Damals trug sie noch den altdeutschen Frauenvornamen „Meta“. Der Toppsegelschoner ist die baugleiche Zwillingsschwester der ebenfalls bei Lühring vom Stapel gelaufenen „Eye of The Wind“, heute ein Segelschiff für Touristen.

„Es ist ein kommerzielles Projekt“, sagt der Auslandsitaliener Oscar Kravina, ein spindeldürrer Mann mit langen schwarzen Haaren und einem scheuen Lächeln. Er will die „SV Brigantes“ mit ökobewegten Freiwilligen, Trainees und einer kleinen Stammbesatzung wieder bemasten. „Wir sind bis jetzt schuldenfrei“, sagt der 50–Jährige: „Wir haben alles aus Eigenkapital oder aus dem Verkauf von Schiffsanteilen finanziert. Alle, die mitmachen, sind Mitbesitzer vom Schiff. Und partizipieren am Gewinn, wenn es einmal einen gibt.“

Zunächst müssen die kalkulierten Umbaukosten gewuppt werden, um wieder die „Meta“–Ebene zu erreichen: 900.000 Euro für die Instandsetzung und Ausrüstung als Segelschiff. Oscar Kravina betreibt das Projekt nicht alleine. Ihm zur Seite steht Bruder Daniel, ein Touristiker und Marketingfachmann. Zur Finanzierung bereiten sie Modelle für Investoren vor – neben der Möglichkeit Einzelner Anteile zu erwerben. Ab 1000 Euro ist man dabei.

Die „Brigantes“ soll in Zukunft „Kaffeefahrten“ im allerbesten Sinne machen: Expeditionen in die Zukunft eines nachhaltig und fair organisierten Welthandels. Es wird ihr drittes Leben sein. „Meta“ hieß das 27,7 Meter lange, sieben Meter breite Schiff mit einer Segelfläche von 365 Quadratmetern als es getauft wurde. Doch mit der kommerziellen Segelschifffahrt für den Warentransport war es mit dem Aufkommen der Dampf–, später dann der Dieselschifffahrt bald vorbei. Mit diesen Antrieben an Bord ließen sich Fahrpläne einhalten, mit Segeln nicht unbedingt.

Also wurde „Meta“ 1954 in Viareggio – im Nordwesten der Toskana – in ein Küstenmotorschiff umgebaut. Die Masten kamen zum Haufen mit dem Alteisen. Das Schiff hieß nun „Onice“ (zu Deutsch: Onyx). Zuletzt pendelte es zwischen Trapani auf Sizilien und der Insel Pantelleria. Heute liegt der Rumpf in der Werft Cantiere Navale DaRoMarCi auf dem Trockenen. Das Schiff wird fitgemacht für eine neue emissionsfreie Zukunft als schwefelfreier Frachtensegler, der im Warenverkehr über See mitschippert.

Aus der „Brigantes“ soll eine Marke werden

„Die Menge, die an Kaffee in Europa verkauft wird, ist so gigantisch, dass man sich da anteilig in eine Nische hineinbegeben kann“, sagt Kravina. Der Frachtsegler soll über den Atlantik fahren, in Costa Rica, Guatemala, Honduras, Kolumbien oder auf einer der karibischen Inseln Kaffee laden und nach Italien bringen. „Es gibt noch kein segelndes Frachtschiff, das ins Mittelmeer reingeht“, wirft Kravina einen Blick in diese Ausbuchtung des Marktes. Doch es soll noch besser kommen. Es soll nicht allein um den Transport gehen. Dieser Anker würde nicht verfangen, um dem Projekt kommerziellen Halt zu geben. Aus der „Brigantes“ soll eine Marke werden. So wie bei „Gitanes“. Das sind ja auch nicht nur Zigaretten, das ist ein Lebensgefühl. „Wir werden eine Bar haben“, sagt Kravina, „wir machen eine eigene Röstung, vielleicht werden wir noch eine eigene Rösterei haben. Die ,Tres Hombres’ sind ja auch bekannt geworden durch ihr Frachtsegelschiff–Projekt, aber sehr bekannt ist auch ihr Rum. Die bezahlen inzwischen Dividende.“

Die gute Sache hat ihren Preis

Die „Brigantes“ ist also im Verband unterwegs. Sie sieht sich als Teil einer Flotte. Unter der Flagge der „Fair Transport Foundation“ (Den Helder/Niederlande) läuft derzeit neben der „Tres Hombres“ auch die „Nordlys“ unter Segeln. Sie gehört einer Reederei, die der Niederländer Jorne Langelaan mit zwei Freunden gründete. Sie transportieren zwischen den Lofoten und dem Mittelmeer vor allem Wein, Ale, Olivenöl und Stockfisch.

Säcke und Fässer aus Übersee heranzufahren wie „anno Tobak“ wirkt liebenswert nostalgisch, aber anachronistisch. „Wir können nicht alles für Konsum und Luxus opfern“, sagt zwar der Gründer von Timbercoast, Cornelius Bockermann, der ebenfalls mit Frachtenseglern unterwegs ist. Doch der nachhaltige Transport eines Kilogramms macht die Waren ein bis zwei Euro pro Kilogramm teurer, sagt Kravina. Die gute Sache hat eben ihren Liebhaberpreis.

So erfolgreich das Unternehmen FairTransport mit beiden Schiffen auch ist, nicht alle kommerziellen Traditionsschiffe bekommen Wind in die Segel: Das mit viel Publicity gestartete Projekt des ehemaligen Marineoffiziers Torben Hass kam zum Beispiel nicht in Fahrt. Die „Undine vom Hamburg“ (1931) wird heute von der Stiftung Hamburg Maritim als Museumsschiff betrieben. Eigentlich sollte der Zweimast-Gaffelschoner als segelndes Frachtschiff im Liniendienst zwischen Hamburg und Sylt eingesetzt werden. Passagiere sollten Geld bringen. Doch daraus wurde nichts.

Oscar Kravina ist Mitinitiator des Projekts und glaubt an Windkraft statt Schweröl.
Oscar Kravina ist Mitinitiator des Projekts und glaubt an Windkraft statt Schweröl.

© Reinhart Bünger

Anders als Hass ist Kravina kein Einzelkämpfer. Er setzt auf seine Schar von Segelenthusiasten, eine hoch motivierte Crew, die sich nichts Schöneres vorstellen kann, als beim Entladen derber Jutesäcke blutige Schwielen zu bekommen. Sie mögen das seit 2014 laufende Timbercoast–Projekt vor Augen haben. Unter dem Label „Timbercoast“ läuft derzeit die niederländische „Avontuur“ („Abenteuer“) als weiterer Öko-Frachter eines umweltfreundlichen Warentransports über die Meere.

So weit ist die „SV Brigantes“ noch nicht. Projektleiter Kravina hat den Horizont stets vor dem inneren Auge. Der gelernte Bootsbauer verfolgt mit Argusaugen die Arbeit der Werft und passt auf, dass kein Klabautermann an Bord kommt. Den alten Schiffsdiesel haben sie erst einmal ausgebaut. Der soll durch einen Elektromotor ersetzt werden – einen Hilfsantrieb, der das Manövrieren erleichtert und Flautezeiten überbrückt. Übrig geblieben ist nur noch „Metas“ Stahlrumpf. Der hat derzeit noch zwei große Löcher. Zwei Stahlplatten müssen ersetzt werden, weil die Ankerkette zu Rostfraß führte. Sie wurde jahrzehntelang auf den Fährfahrten nach Pantelleria nicht bewegt.

„Interessant ist, dass die neue Ladeluke total verrottet und die originale noch gut war“, sagt Kravina zum technischen Stand der Dinge: „Die konnten wir sogar retten.“ Wenn der Rumpf wieder dicht ist, soll die „Brigantes“ in einer anderen Werft zwei Masten bekommen, also wieder das stehende und laufende Gut eines Segelschiffes erhalten. Das kann die Werft in Trapani nicht leisten. Der Standort für die Ausrüstung der „Brigantes“ steht noch nicht fest. Vielleicht Triest. Vielleicht geht es aber auch zunächst in die Niederlande. Dort hat die Segeltradition immer noch eine breite Basis.

Der Rumpf der "Brigantes" liegt derzeit noch im Trockendock.
Der Rumpf der "Brigantes" liegt derzeit noch im Trockendock.

© Reinhart Bünger

Moderne Frachtschiffe sind preiswerter

Aber werden sich die Fahrten der „Brigantes“ einmal rechnen? Kravina setzt auf den Faktor Zeit. Natürlich sind moderne Frachter und Containerschiffe preiswerter. Mit einer Transportkapazität von 70Tonnen für Kaffee, Kakao, Kardamom, Rotwein und Schnaps, die zum Beispiel im Frachtraum der „Avontuur“ Platz haben, kann ein Segelschiff nicht gegen die Containerschifffahrt anfahren. Aber: Sowohl Timbercoast als auch FairTransport denken über den Bau größerer Schwesterschiffe nach. Viel hilft viel. Das ist nicht anders als bei Windmühlen und Solaranlagen.

Mehr Informationen zur "Brigantes" auf www.brigantes.eu

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