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Nachhaltigkeitsgipfel in Rio: Der allerkleinste gemeinsame Nenner

„Die Zukunft, die wir wollen“ steht über der Deklaration des Nachhaltigkeitsgipfels. Wird Rio dem hohen Anspruch gerecht?

Kein Gipfel kann die Welt retten. Nicht einmal der legendäre Erdgipfel in Rio 1992 hat das vermocht. Doch der zweite Folgegipfel – wieder in Rio – droht als gänzlich irrelevant in die Geschichte einzugehen. Das Abschlussdokument des Gipfels Rio+20 unter der Überschrift „Die Zukunft, die wir wollen“ versammelt vage Absichtserklärungen, dokumentiert Beschlüsse der vergangenen 40 Jahre und zeigt vor allem eins: Je größer die Probleme sind, desto weniger sind Staaten bereit, miteinander zu kooperieren, um sie zu lösen.

UNTERERNÄHRUNG/ARMUT

Das Problem: Eine Milliarde Menschen weltweit ist unterernährt oder hungert. Eine bis zwei Milliarden Menschen leben in extremer Armut.

Die Antwort: In Sachen Armutsbekämpfung stellt der Rio-Gipfel fest, dass es ökonomisches Wachstum braucht, um Menschen aus der Armut zu befreien. Das Recht auf Nahrung wird „bestätigt“, und es wird „anerkannt“, dass die Landwirtschaft wiederbelebt werden müsse. Zudem wird die Wichtigkeit gesunder Fischbestände weltweit anerkannt. Mehr nicht. Genauso wird das Recht auf Wasser und eine sanitäre Grundversorgung behandelt. Zudem verpflichten sich die Staaten dazu, Verhandlungen über den Zugang von 1,4 Milliarden Menschen zu modernen Energiedienstleistungen zu unterstützen.

Doch die Initiative des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, „Nachhaltige Energie für alle“ wird lediglich „zur Kenntnis genommen“. Dabei ist die Initiative geradezu dafür gemacht als eins von etwa zehn möglichen Nachhaltigkeitszielen (Sustainability Development Goals, SDG) zu werden, deren Entwicklung bis 2015 der Gipfel beschlossen hat. Die SDGs sollen bis dahin die aktuell gültigen Milleniumsentwicklungsziele (MDGs) ablösen. Auch die Förderung von Gesundheitssystemen wird lediglich als wichtig anerkannt. Zudem werden die Staaten aufgefordert, soziale Sicherheitsnetze in „Erwägung zu ziehen“.

ARBEITSLOSIGKEIT

Das Problem: Überall auf der Welt gibt es Milliarden Menschen ohne Arbeit oder mit einer Beschäftigung, die ihnen die Deckung ihrer Grundlebensbedürfnisse nicht erlaubt. Speziell die Jugendarbeitslosigkeit hat dramatische Ausmaße angenommen. In vielen Staaten ist mehr als die Hälfte der jungen Erwachsenen ohne Erwerbsarbeit.

Die Antwort: Eigentlich hatten sich vor allem die Europäer aber auch die Internationale Arbeitsorganisation vorgestellt, dass eine umweltverträgliche Wirtschaftsweise (Green Economy) eine Antwort auf das Problem der Arbeitslosigkeit sein könnte. Kurz vor dem Rio-Gipfel hat die ILO einen Bericht über das Potenzial von grünen Jobs vorgelegt. Demnach könnten in den kommenden zwei Jahrzehnten zwischen 15 und 60 Millionen neuer Jobs entstehen.

Die Branchen sind die Energieeffizienz, Ressourceneffizienz, Kreislaufwirtschaft, Schutz und Wiederbelebung von Ökosystemen sowie die Verminderung von Treibhausgasemissionen. Sie konnten sich mit ihrer Vorstellung einer Green Economy jedoch nur bedingt durchsetzen. Das Kapitel im Abschlussdokument ist denkbar schwach. Da wird vor allem festgestellt, dass jedes Land andere Bedürfnisse, Voraussetzungen und Wege zu einer grünen Wirtschaft hat. Im Paragraphen 58 wird betont, dass eine Green Economy nicht dazu beitragen dürfe, den internationalen Handel mit Beschränkungen zu belegen.

Es sollten „einseitige Maßnahmen vermieden werden, um mit Umweltproblemen umzugehen, die sich außerhalb der eigenen Grenzen abspielen“. Gemeint ist damit die Debatte um Klimazölle, wie sie beispielsweise Frankreich ins Spiel gebracht hat. Im übrigen könne jedes Land wählen, was es umsetzen möchte. Die Europäer feiern es als großen Erfolg, dass im Paragrafen 66 die Vereinten Nationen „eingeladen“ werden, mit Gebern und anderen internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten, um interessierten Staaten eine maßgeschneiderte Beratung auf dem Weg in eine grüne Wirtschaft zu geben. Das ist der konkreteste Beschluss in diesem Themenfeld.

Die Kernthemen einer grünen Wirtschaft sind Ressourceneffizienz, Energieeffizienz, die Energieversorgung und der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Die Effizienzthemen werden im Rio-Abschlusspapier lediglich gestreift. Dafür wird betont, dass jede Nation das Recht habe, ihre natürlichen Ressourcen, speziell Energierohstoffe oder Mineralien, nach ihren Bedürfnissen auszubeuten. Der einzige Hinweis auf die Umweltfolgen dieser Wirtschaftstätigkeit ist die Aufforderung, die vor 20 Jahren beim Erdgipfel in Rio vereinbarten Prinzipien der Nachhaltigkeit in der Bergbauindustrie anzuwenden.

Und was wurde zum Klimawandel gesagt?

KLIMAWANDEL

Das Problem: Die Ökosysteme der Welt stehen kurz vor dem Kollaps oder sind schon darüber hinaus. Die Aufnahmekapazität der Erdatmosphäre für Treibhausgase ist bereits so übernutzt, dass der Anteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre inzwischen einen Anteil von 400 Teilchen CO2 pro eine Million Teilchen erreicht hat. Um die globale Erwärmung unter zwei Grad zu halten, sollte dieser Anteil zwischen 350 und 450 ppm gehalten werden.

Doch die Treibhausgasemissionen steigen nicht nur weiter sondern auch immer schneller. Das Tempo, in dem die Welt Tier- und Pflanzenarten verliert, hat in den vergangenen 20 Jahren ebenfalls zugenommen. Es gibt weltweit kaum noch ein Ökosystem, das nicht geschädigt wird. Das hat das UN-Umweltprogramm gerade erst in seinem Bericht über den Zustand der globalen Ökosysteme, Geo 5, einmal mehr nachgewiesen. Zudem weist die Weltagrarorganisation FAO seit Jahren darauf hin, dass in den Meeren der Welt inzwischen kaum noch Fischbestände existieren, die nicht bereits überfischt sind.

Dazu kommt, dass die Ozeane noch immer als Müllkippe für eine Vielzahl von Abfällen herhalten müssen. Außerdem werden Plastikmüll und chemische Schadstoffe über die Flusssysteme der Welt ins Meer transportiert.
Die Antwort: Der Klimawandel kommt erst im Paragraphen 191 vor. Und obwohl „bestätigt wird“, dass es sich um „eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“ handelt, hat der Rio-Gipfel zu dem Thema kaum etwas zu sagen. Es sei nötig, die globale Erwärmung unter zwei Grad oder 1,5 Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung zu halten, heißt es. Die Versauerung der Meere solle gebremst werden, wird an anderer Stelle ausgeführt.

Die Meere nehmen einen großen Teil der globalen CO2-Emissionen auf, dadurch wird das Meerwasser sauer, und Korallen, Muscheln und andere Meerestiere, die Kalk brauchen, um ihre Panzer zu bilden, werden gefährdet. Kalk löst sich in Säure auf. Der Rio-Gipfel „drückt begründeten Alarm“ darüber „aus, dass die Treibhausgasemissionen weiter steigen“. Davon sinken sie allerdings auch nicht.

Die Wichtigkeit der biologischen Vielfalt für das Leben auf der Erde wird betont. Eine relativ große Rolle spielt der Meeresschutz im Rio-Dokument. Allerdings nur bezogen auf den Umfang, nicht den Inhalt. So wird gelobt, dass bis 2014 ein erster Report über den exakten Zustand der Meere vorgelegt wird. Die Staaten sollten dann „erwägen“ aus dem Zustandsbericht Konsequenzen zu ziehen.

Im Paragraphen 162 wird die Wichtigkeit von Meeresschutzgebieten auf hoher See anerkannt. Doch frühestens in der UN-Generalversammlung in zwei Jahren soll beraten werden, ob womöglich auch welche ausgewiesen werden. Über eine Reduzierung von Müll im Meer wird dagegen erst 2025 entschieden. Bis dahin dürfte es nicht mehr allzu viel geben, was noch geschützt werden kann.

Nicht einmal zu einer eindeutigen Ablehnung der umstrittenen Meeresdüngung konnte sich der Gipfel durchringen. Es wird lediglich auf Beschlüsse verwiesen und angeregt, „mit höchster Vorsicht“ an solche Projekte heranzugehen. Dabei geht es um eine Form des sogenannten Geoengeneerings. Wenn Eisen ins Meer geschüttet wird, löst das vermehrtes Algenwachstum aus, und Forscher hoffen, dass diese Algen CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen und speichern. Die ersten Versuche weisen jedoch darauf hin, dass der CO2-Effekt gering ist, die Folgen für die Meeresökologie aber schwer abschätzbar sind.

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