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Jutta Limbach, wie sie war: nachdenklich und doch immer aufmerksam.

© Michael Bahlo/dpa

Nachruf auf Jutta Limbach: Sie war mehr Politikerin, als sie werden wollte

Die erste und bisher einzige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts ist gestorben. Sie half, das Recht in die Gesellschaft zu tragen. Ein Nachruf.

Eine kleine, feine Frau für hohe Ämter und große Gedanken. Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts war sie, Präsidentin des Goethe-Instituts und als Bundespräsidentin immer wieder im Gespräch. Aber Jutta Limbach war nicht außergewöhnlich, weil sie herausragende Aufgaben wahrnahm oder noch höhere hätte wahrnehmen können. Sondern weil sie mit Herz und Geist denken konnte, wo anderen nur ihr Intellekt zur Verfügung steht.

Typisch Frau? Das hätte Limbach verneint. Männer können alles, was Frauen können, sagte sie einmal, ganz besonders im Umgang mit Kindern, von denen sie drei hatte. Ihren Mann Peter sah sie als Beweis, mit dem sie trotz viel räumlicher Distanz und getrennten Wohnungen eine jahrzehntelange Ehe verband.

Wer auf eine Familiengeschichte zurückblickte, wie Limbach es konnte, für den dürfte sich ein Gutteil modischer Geschlechterdiskussionen ohnehin erübrigt haben: Die Urgroßmutter schlich sich als Mann verkleidet bei politischen Veranstaltungen ein und gründete die erste sozialdemokratische Frauenorganisation; die Großmutter saß als eine der ersten Frauen in der Weimarer Nationalversammlung; Vater Erich Ryneck war Pankower Bürgermeister und nahm Reißaus nach der Zwangsvereinigung mit der KPD. Limbach war politisch, war Sozialdemokratin und Berlinerin, als solche geboren und jetzt mit 82 Jahren gestorben.

Eigentlich wollte sie Journalistin werden mit ihrem politischen Anspruch, doch ging sie zunächst auf akademische Distanz und studierte Jura an der Freien Universität. Nach Eintritt in die SPD, Promotion und Habilitation folgte die Professur im Zivilrecht. Ihr Interesse ragte weit über den klassischen Zuschnitt hinaus, vor allem sah sie das Recht als das, was es jedenfalls außerhalb der Universität auch ist: Die Praxis zur Theorie der Gesellschaft. Konsequent deshalb, dass sie sich vor allem auch als Rechtssoziologin einen Namen machte und sich Kenntnisse aneignete, die ihr Wirken prägten.

Nach dem "Kruzifix"-Urteil leitete sie einen Wandel ein

Politikerin wurde sie dann doch – ein bisschen. Walter Momper holte sie 1989 als Justizsenatorin in seinen rot-grünen Senat. Zugleich bekam sie damit die Oberaufsicht für die Anklagen bei Mauerschützen- und Politbüroprozessen. Eine bewegte, auch zerrissene Zeit, in der viele in dem Amt wohl gescheitert wären. Limbach nicht; sie war danach souveräner als je zuvor und nicht umsonst kam sie als erste und bisher einzige Frau an die Spitze des Bundesverfassungsgerichts.

Dort gelang ihr die wohl größte Tat. Als das „Kruzifix“-Urteil fiel und Bayern einen Aufstand riskierte, weil es seine Christentradition im Klassenzimmer vernichtet sah, da erschuf sie dem höchsten Gericht, das bisher nur durch seine Urteile sprach, eine Pressestelle, die diese auch erklärte. Heute eine Selbstverständlichkeit, damals eine kleine Revolution und ein Eingriff, der viel dazu beigetragen hat, dass das Karlsruher Gericht das höchste Vertrauen aller demokratischen Institutionen genießt. Jutta Limbach war damit eine größere Politikerin, als sie es vielleicht je hätte werden wollen in ihrem erfüllten Leben.

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