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Margarete Mitscherlich hat auch im hohen Alter noch in Frankfurt als Psychoanalytikerin praktiziert.

© dpa

Nachruf: Die nicht friedfertige Frau

Zum Tod von Margarete Mitscherlich.

Margarete Mitscherlich ist tot. Die vermutlich bekannteste und einflussreichste deutsche Psychoanalytikerin starb in Frankfurt am Main kurz vor ihrem 95. Geburtstag. Sie hatte bis zuletzt in ihrer Frankfurter Praxis gearbeitet.

Berühmt wurde Mitscherlich, die am 17. Juli 1917 als jüngste Tochter eines dänischen Arztes und einer deutschen Schuldirektorin in Süddänemark als Margarete Nielsen geboren wurde, durch das Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“, das sie zusammen mit ihrem Ehemann Alexander Mitscherlich geschrieben hatte. Das 1967 erschienene Buch untersuchte am Beispiel des Umgangs mit der deutschen Nazi-Vergangenheit in der Nachkriegszeit Mechanismen von Abwehr gegen Schuld und Mitläufertum. Alexander, der 1982 mit 74 Jahren starb, und Margarete Mitscherlich gehörten seit den 60er Jahren zu den wichtigen Intellektuellen der Bundesrepublik und galten als Stichwortgeber auch der 68-er Revolte.

Mitscherlich hatte in München und Heidelberg Medizin studiert und 1950 in Tübingen promoviert. Ihr Interesse an der Psychoanalyse wurde durch ihren Mann geweckt, den sie 1947 kennengelernt hatte. Das Werk Sigmund Freuds habe ihr die Augen geöffnet, bekannte sie später und sie gehörte zu den ersten, die die in Nazi-Deutschland als jüdisch verfemte Therapie nach dem Krieg zurückholte. Sie ließ sich in den 50er Jahren in Heidelberg und Stuttgart ausbilden und kam am Londoner Institut auch mit Anna Freud, der Kinderanalytikerin und Tochter Sigmund Freuds, mit Melanie Klein und Michael Balint in Kontakt.

Mitscherlich ließ sich gleichwohl nie von psychoanalytischer Orthodoxie vereinnahmen, wozu von den 70er Jahren an auch ihre Hinwendung zur Frauenbewegung beitrug. In der Geschlechterfrage engagierte sie sich auch politisch, setzte sich für die Legalisierung der Abtreibung ein und verklagte mit anderen Frauen 1978 den „Stern“ wegen eines Titelbilds, das eine nackte schwarze Frau zeigte. Die berühmteste Veröffentlichung der Feministin Mitscherlich dürfte „Die friedfertige Frau“ von 1985 sein. In dem Buch setzte sie sich mit Frauenrollen in der Politik und weiblichen Klischees auseinander: Frauen, schrieb Mitscherlich, hätten „eine allzu große Neigung, Frieden deswegen zu bewahren, weil sie den Verlust von Liebe vermeiden wollen. Im tieferen Grund ihrer Seele sind Frauen nicht friedfertiger als Männer.“

Ihre Hoffnung auf eine „weibliche“ Zukunft meinte denn auch nicht die Verewigung dieser Klischees. In Mainz, wo sie im April noch einmal vor Publikum diskutierte – dies sei ihre „letzte öffentliche Veranstaltung“, hatte sie erklärt, aber sie wolle sehr gern noch ein Buch schreiben – zeigte sie sich zufrieden: „Europa ist weiblicher geworden, zum Glück.“ Und dass Frauen in einer männlichen Welt auch Teile ihrer Weiblichkeit aufgeben müssten, ja, das stimme. „Aber das ist auch gut so.“

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