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Nachruf: Loki Schmidt: Fest auf der Erde

Sie war immer an seiner Seite, aber sie war viel mehr als die Frau an seiner Seite. Die Kanzlergattin Loki Schmidt hat immer ihre Eigenständigkeit betont. Abhängigkeit war ihr ein Gräuel. In der Nacht zum Donnerstag ist sie mit 91 Jahren gestorben.

Wahrscheinlich haben diese beiden uns so berührt, so angerührt, weil wir uns in ihnen wiederfanden. Weil wir in ihnen unsere Großeltern erkannten oder unsere alten Eltern. Weil wir uns wünschten, im Alter selbst einmal so sein zu können, so wortlos im Verstehen mit dem Menschen, an dessen Seite man von Gott erbittet, alt werden zu können, gemeinsam. Diese zutiefst menschliche Hoffnung, nicht vor dem anderen gehen zu müssen und doch auch den anderen nicht loslassen zu müssen. In Helmut und Loki Schmidt spiegelten sich unsere Sehnsüchte nach einem erfüllten Leben, diese beiden haben wir bewundert, respektiert – geliebt.

Und jetzt ist Loki Schmidt nicht mehr da, und nun fehlt viel, viel mehr als der Begriff von der „Frau an seiner Seite“ beschreibt.

Natürlich war sie die Frau an der Seite des Bundeskanzlers. Frau jenes Helmut Schmidt, der in seinen hohen Zeiten nicht nur ein über Deutschland hinaus bewunderter Macher und Entscheider war, sondern auch ein Chef der Bundesregierung, der nicht nur gegen sich, sondern auch gegenüber seinen Mitarbeitern von erbarmungsloser Härte und von verletzender Schroffheit sein konnte. Loki Schmidt war es, die viele dieser seelischen Verletzungen heilen musste, und oft war sie selbst auch Opfer der ungeschnörkelten Direktheit ihres Mannes. Die Altersmilde, die wir bei all seinem unverändert klaren Urteil auch bei Helmut Schmidt registrieren, kam ja erst im Laufe der Jahrzehnte.

In den Zeiten zuvor musste man sich zusammenraufen, und wäre Loki Schmidt, die Lehrerin mit dem zutiefst humanen Impetus der Volkspädagogin, nicht eine so in sich gefestigte Persönlichkeit gewesen – wer weiß, ob das Leben die beiden so lange zusammen gehalten hätte.

Pflichtmenschen sind, waren sie beide. Ein sehr protestantisches Leistungsethos prägte sie, und wenn wir Heutigen die Devise des Baron zu Guttenberg „Ich dien’“ so bestaunen und bewundern, dann zeigt das nur, dass da wohl doch eine Generation von Staatsdienern aus dem Amt geschieden ist, der dieses Dienen selbstverständlich war, auch oder gerade weil die Herkunft eine rein bürgerliche gewesen ist.

Loki Schmidt war eine Arbeitertochter aus dem Hamburger Stadtteil Hammerbrook, als Hannelore Glaser geboren am 3. März 1919. Nach dem Abitur studierte sie auf Lehramt und war an Hamburger Volks- und Hauptschulen als Lehrerin tätig. Den Luftwaffenoberleutnant Helmut Schmidt, Offizier der Reserve, heiratete sie am 27. Juni 1942. Das Paar bekam zwei Kinder, Sohn Helmut Walter wurde am 26. Juni 1944 geboren und starb noch vor seinem ersten Geburtstag, vermutlich an Meningitis. Tochter Susanne kam 1947 zur Welt. Loki Schmidt hatte außerdem fünf Fehlgeburten. Dies zu erwähnen, ist nicht Indiskretion, sie selbst hat es berichtet, weil in allen Fällen die damals noch unbekannte Infektionskrankheit Toxoplasmose die Ursache des Absterbens des werdenden Lebens waren.

Mehr als 30 Jahre lang unterrichtete sie. Erst als ihr Mann 1972 zum zweiten Mal Bundesminister wurde, gab sie ihre Arbeit auf. „Als Angeheiratete der Politik führte ich lange Zeit ein etwas seltsames anderes Leben“ sagte sie einmal. Selbstverständlich und selbstbewusst kam sie ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen als Minister- und späteren Kanzlergattin nach.

Ein Leben ohne den anderen gab es für Helmut und Loki Schmidt eigentlich nie. Als Loki zehn war, lernte sie den ein Jahr älteren Helmut in der Schule kennen, sie gingen in die gleiche Klasse. „Wir waren von Anfang an befreundet“, schrieb sie in ihren Memoiren. Es war der Beginn einer langen und glücklichen Beziehung. „Wir konnten immer gut miteinander reden und auch zanken“, sagte sie. Richtig gezankt, „dass die Fetzen flogen“, hätten sie sich aber nie. Nur einmal, gestand sie, habe sie einen Waschlappen nach ihrem Mann geworfen. Sie blieb pragmatisch, selbst im Zank: „Ich wollte ihm etwas an den Kopf werfen, aber ich habe mir überlegt, dass es nichts sein darf, was man nicht wieder kaufen kann.“

Erst vor wenigen Tagen war ein Buch von ihr erschienen, das den Titel trägt „Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde“, in dem Loki Schmidt vom Leben an der Seite des Kanzlers erzählt und in dem ihr Ehemann ihr noch im Vorwort bescheinigte: „Sie war eine wohlerzogene Dame mit politischem Verstand.“ Wohlerzogen aber war sie immer nur so weit, wie sie es selbst wollte. Einen Knicks, das verrät sie im Buch, habe man ihr beim besten Willen nicht ab verlangen können. „Mit Knicksen konnte ich nicht dienen“, schreibt sie. Zumal diese Geste völlig ihrer „persönlichen Grundhaltung“ widersprochen hätte.

Denn ihre Grundhaltung hieß: Eigenständigkeit. Die suchte sie insbesondere in ihrem Engagement für den Naturschutz. Sie spürte, dass moderne Lebensweise und und natürliche Lebensgrundlagen in einen schwer auflösbaren Widerspruch gerieten. 1976 gründete sie das Kuratorium zum Schutz gefährdeter Pflanzen, eine Organisation, die mit Spenden bedrohte Biotope kaufte und sie im ursprünglichen Zustand erhielt. 1983 entdeckte sie eine bis dahin unbekannte Blume, eine Bromelie, die nach ihr benannt wurde: Pitcairnia loki-schmidtiae. Es folgten fünf weitere Pflanzen, die ihren Namen tragen – und ein Skorpion. Seit 1980 benannte sie im Namen ihres Kuratoriums die „Blume des Jahres“, zuletzt 2010 die Sibirische Schwertlilie. Sie schrieb zahlreiche botanische Bücher und wurde vielfach ausgezeichnet, mit Ehrendoktorwürden und einer Ehrenprofessur, mit dem Ehrensenatorinnen-Titel der Hamburger Universität. Sie sei eben „penetrant neugierig“ geblieben, bekannte sie auch im hohen Alter. Am 12. Februar 2009 wurde sie Ehrenbürgerin von Hamburg.

In der letzten Zeit wurde Loki Schmidt immer öfter von Krankheiten heimgesucht. Sie sprach öffentlich nicht gerne darüber, begann aber besonders unter der nun einsetzenden Abhängigkeit zu leiden. „Ein jüngerer Mensch kann sich nicht vorstellen, wie schwierig das ist, abhängig zu sein“, sagte sie. Am Anfang gebe es im Alter eine schöne Phase, in der man viel Zeit habe und das Leben genießen könne. „Aber dann kommt die Zeit, wo man Hilfe braucht.“ Und sie bestand selbst da noch auf ihre Selbständigkeit: „So furchtbar viel betreut werden möchte ich nicht.“

Erst kürzlich gab es wieder große Sorge um sie. Ende September war sie zu Hause in Hamburg-Langenhorn schwer gestürzt und hatte sich den Knöchel gebrochen. In einer Klinik angekommen, war die die 91-Jährige verwirrt, erst nach der Entlassung erholte sie sich langsam wieder. Helmut Schmidt hatte sofort alle Reisen abgesagt, die Tochter des Paares, die als Bankerin, Journalistin und Buchautorin bei London lebt, war nach Hamburg gereist. Dennoch war die Familie voller Hoffnung, alles könnte sich noch zum Guten wenden. Die Hoffnung hat getrogen.

Vielleicht ist das ganze Besondere an Loki Schmidt gewesen, dass sie eine ganz normale Frau war. In ihrer Weise, die schlimmen Phasen des Lebens zu erleiden und doch immer wieder dieses Leben zu meistern, es selbst in die Hand zu nehmen, immer wieder aufzustehen, auch, wenn einem mehr nach Liegenbleiben zu Mute war, erkannte sich eine ganze Generation von Frauen wieder – jene Generation, die den Wahnsinn des Nationalsozialismus irgendwie überlebt hatte und nach dem Krieg das Land wieder mit aufbaute. Loki Schmidt, Lehrerin, Mutter, Kanzlerfrau war eine von ihnen.

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