zum Hauptinhalt
ted_kennedy_dpa

© dpa

Nachruf: Ted Kennedy: Der letzte Tycoon

John F. Kennedys jüngster Bruder, Ted, ist tot. Der US-Senator litt an einem Hirntumor. Seine letzten großen Auftritte hatte er im Präsidentschaftswahlkampf im vergangenen Jahr. Ein Nachruf.

Am Mittwoch brüllte der Löwe noch einmal, es war überall in den Vereinigten Staaten zu hören, von der Ost- bis zur Westküste. Immer wieder erschien der markige Quadratschädel mit der weißen Mähne auf den Bildschirmen. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hatte er mit einer flammenden Rede den Parteitag der Demokraten in Denver zum Leben erweckt. Allein, dass er gekommen war, bedeutete einen Sieg der Willenskraft über die Krankheit und der Hoffnung über die Zweifel.

An jenem 25. August 2008 warf Ted Kennedy das ganze Gewicht seiner Familiensaga in die Waagschale des "schwarzen Kennedy" der nächsten Generation: Barack Obama. Der Arzt hatte abgeraten. Der damals 76-jährige Senator von Massachusetts war drei Monate zuvor, am 20. Mai, mit Gehirntumor diagnostiziert worden und befand sich inmitten mehrerer Runden Chemotherapie. Mit wackeligen Schritten kam er auf die Bühne. Aber den Stuhl, den ein Helfer rasch hinter das Rednerpult schob, ignorierte er. So viel Kraft war schon noch in seinem massigen Körper. Die Stimme war fest. "Nichts - gar nichts - kann mich davon abhalten, zu dieser Versammlung zu kommen."

Mehr als 20.000 Menschen erhoben sich von den Sitzen der Mehrzweckhalle, klatschen minutenlang, schwenken blaue Kennedy-Tafeln. Viele hatten Tränen in den Augen. Sie ahnten, es könnte sein letzter großer Auftritt sein. Ein gefühliges Video über ihn und seine zwei ermordeten Brüder hatte zuvor den Kennedy-Mythos wach gerufen: John F. Kennedy, 1960 mit 43 Jahren zum Präsidenten gewählt und 1963 in Dallas erschossen. Bobby Kennedy, der erhoffte Thronfolger, 1968 im Präsidentschaftswahlkampf ermordet. Und Ted, seit 1962 Senator von Massachusetts, gescheiterter Präsidentschaftsbewerber 1980. Das Video zeigt ihn mit wehendem Haar am Ruder seiner Segelyacht "Mya". Manche sagen, er habe die USA durch 46 Jahre Gesetzgebung stärker geprägt als die meisten Präsidenten. Nun gab er Barack Obama den verbalen Ritterschlag. Seit Monaten hatte er dessen Präsidentschaftskandidatur gegen Hillary Clinton unterstützt.

"Ich bin gekommen, um bei euch zu stehen, damit wir Amerika wieder eine Zukunft geben und Barack Obama wählen." Der werde nicht junge Soldaten einem Irrtum opfern, aber eine Krankenversicherung für alle Amerikaner einführen. Mehr als vier Jahrzehnte hat Ted dafür gekämpft. "The Cause of My Life" hat er das Projekt genannt. Inzwischen ist Obama Präsident, aber im Sommer 2009 droht auch dieser Anlauf am Widerstand der Gegner und den Folgen der Wirtschaftskrise zu scheitern. Die Furcht vor den steigenden Kosten der Gesundheitsversorgung nimmt überhand. In der Debatte der jüngsten Wochen hatte Kennedys Stimme schmerzlich gefehlt. Doch an diesem 26. August 2009 wird die Stimme eines Toten zum bewegenden Plädoyer für das Vorhaben. In der Nacht hatte die Familie bekannt gegeben, dass Ted zuhause in Hyannis Port auf Cape Cod gestorben sei.

So wird er posthum noch einmal zum Fürsprecher der Reform. Eine Krankenversicherung sei ein Grundrecht, kein Privileg für Wohlhabende, hatte er ein Jahr zuvor beim Parteitag gedonnert. Diese Bilder, die alle Fernsehsender nun einspielen, wirken wie ein Appell an das Gewissen der Nation. Er mischt das Pathos eigener Wahlkämpfe mit Obamas Slogans und ruft die toten Brüder als Kronzeugen auf. "Abermals reichen wir die Fackel weiter, die Hoffnung wächst von Neuem, und der Traum lebt fort", ruft er mit lauter Stimme. "Yes, we can! And yes, we will!" Und: "We can reach the moon!" Die Bilder sind ein Jahr alt, doch bei vielen rufen sie all die Emotionen wieder wach. Die Gefühle in der Arena von Denver waren damals nahe dem Explosionspunkt: Ergriffenheit, Siegeszuversicht und eine fast heilige Begeisterung.

Es war dann gar nicht sein letzter öffentlicher Auftritt. Die Kennedys sind zäh. Er erlebte die Amtseinführung des ersten afroamerikanischen Präsidenten, erlitt bei einer der Feiern freilich einen Schwächeanfall. Beim Gipfel zur Gesundheitsreform im März stand er zumindest optisch noch einmal im Mittelpunkt. Und beim Eröffnungsspiel der Boston Red Sox gegen die Tampa Bay Rays im April warf Ted im knallroten Outfit der Heimmannschaft den ersten Ball. Doch das sind nur kurze, schnelle Bilder an diesem Mittwoch, an dem Amerika wieder einmal um einen Kennedy trauert. Im Mittelpunkt steht die letzte große Rede in Denver - als Symbol des Generationswechsels. Und verbunden mit der unbeantworteten Frage, ob dies zugleich das Ende des Mythos von "Camelot" sei?

Ted war der letzte der Großen. Aufs Erste ist kein jüngeres Familienmitglied sichtbar, das die politische Dynastie fortsetzen könnte. Caroline, JFK's Tochter, hat den Senatorenposten von New York am Ende nicht bekommen. Andere Nachwuchshoffnungen aus dem Clan kämpfen mit Suchtkrankheiten. John F. Kennedys gleichnamiger Sohn, seine Frau Carolyn Bessette und deren Schwester kamen 1999 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. John steuerte die Propellermaschine auf dem Weg zu einer Familienfeier auf einem Kennedy-Anwesen in Martha's Vineyard - der Insel, auf der Präsident Obama gerade Urlaub macht. Dieser "schwarze Kennedy" ist jetzt in die Fußstapfen der großen Familie getreten.

Ob Absicht oder Zufall: Für die Nation ergibt sich der Eindruck dieser Kontinuität aus vielerlei Umstände - bis hin zum Hund der Obamas. Im April kam ein Portugese Waterdog namens Bo als "first dog" ins Weiße Haus. Es ist die Rasse, die Ted Kennedy so liebte. Und das Tier kam von einem Züchter, dessen Kunde der Senator war.

Warum bewegt dieser Mann Amerika so sehr, hatte die "New York Times" im Mai 2008 gefragt, als die Gehirntumor- Diagnose bekannt wurde und die Medien Elogen auf Ted verfassten, die bereits wie Nachrufe klangen. Er ist Symbol einer abtretenden Generation. Karrieren wie seine sind in Zukunft kaum mehr möglich, im Guten wie im Schlechten. Das sich beschleunigende Tempo der Medien begünstigt häufigere Wechsel. Als er 1962 Senator wurde, verdankte er das dem Ansehen seiner Familie. Er hatte gerade erst das Mindestalter von 30 Jahren erreicht. Die Kennedys beherrschten die Politik in Massachusetts seit Ende des Zweiten Welkriegs, 1960 griffen sie nach der Macht in Washington. Der älteste Bruder JFK wurde Präsident, Ted "erbte" einen Senatorensitz.

Den Skandal, den Ted 1969 entfachte, würde ein Politiker heute wohl nicht überstehen. Er saß am Steuer des Autos, das von einer Brücke in den Kanal zwischen Martha's Vineyard und Chappaquiddick Island stürzte. Ted konnte sich retten, seine Wahlkampfhelferin Mary Jo Kepechne ertrank. Er meldete das erst am nächsten Tag bei der Polizei, vermutlich weil er zur Zeit des Unfalls betrunken war - und erhielt am Ende nur eine Bewährungsstrafe von zwei Monaten.

Über solche Flecken in Teds Leben sehen die USA in diesen Tagen weg. Der Löwe brüllt nicht mehr "live". Sein Tod reißt eine Lücke, die nicht so leicht zu füllen ist.

Zur Startseite