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© Reuters, AFP

Nachwahl: Scott Brown schlägt Obama mit dessen Waffen

Massachusetts galt lange als Hochburg der US-Demokraten – jetzt machten die Wähler eine Nachwahl zur Abstimmung gegen Obama.

Scott Brown hat Barack Obama mit dessen eigenen Waffen geschlagen: Er trat bei der Senatswahl in Massachusetts als unverdorbener Politiker an, der die Parteihierarchen und Lobbyisten in der Hauptstadt das Fürchten lehrt. Er gab den netten Typen von nebenan mit Bodenhaftung, der seine Reden von der Pritsche seines Pick-up-Wagens hält. Er war der Underdog, mit dem viele schon allein deshalb sympathisieren, weil er eigentlich keine Chance habe. Der 50-Jährige führte einen fehlerfreien Wahlkampf. Auch äußerlich gilt er als attraktiv. 1982, als er Jura studierte, kürte ihn das Magazin „Cosmopolitan“ zum Amerikaner mit dem größten Sex-Appeal.

Selbst das vermeintlich größte politische Kapital der Demokraten – den Nimbus, dass es um die Nachfolge des an Gehirntumor verstorbenen Ted Kennedy gehe, der Obama von Beginn an unterstützt hatte und dessen wichtigstes Vermächtnis der lange Kampf um die Gesundheitsreform ist – wendete Brown zu seinem Vorteil: „Dies ist nicht der Sitz Kennedys. Dies ist nicht der Sitz der Demokraten. Dies ist der Sitz des Volkes!“, rief er unter dem Jubel der Anhänger.

Er gewann mit 52 zu 47 Prozent gegen die Demokratin Martha Croakley. Sie war zu siegesgewiss aufgetreten, hatte den Wahlkampf in der Winterpause ruhen lassen und beging peinliche Fehler. Einen beliebten Baseballspieler der einheimischen Boston Red Sox ordnete sie den rivalisierenden New York Yankees zu. Sie weigerte sich bei einem Termin hinauszugehen und den seit Stunden ausharrenden Bürgern die Hand zu geben, weil es ihr zu kalt war. So wurde möglich, was vor zwei Wochen noch als unwahrscheinlich galt. Die Republikaner eroberten den Senatssitz, den die Kennedys seit 1953 innehatten. Bei Wahlen für den anderen Senatssitz von Massachusetts hatten die Konservativen zuletzt 1973 gewonnen. Ihn hält derzeit John F. Kerry.

Browns Überraschungssieg wird die Präsidentschaft nachhaltig verändern. Obama verliert die strategische 60-Stimmen-Mehrheit im Senat. Mit der neuen Sperrminorität von 41 Stimmen können die Republikaner Gesetzesinitiativen blockieren. Brown versprach, er werde als Erstes die Gesundheitsreform stoppen. Neben regionalen Themen spielten diese nationalen Projekte eine wichtige Rolle im Wahlkampf. Deshalb interpretieren US-Medien den Ausgang auch nicht als peinlichen Ausrutscher der Demokraten in der Provinz, sondern als persönliche Niederlage des Präsidenten. Obama hatte am Sonntag in Massachusetts in das Rennen eingegriffen, ohne Erfolg. Parteiunabhängige Wechselwähler haben ihm einen Denkzettel verpasst, heißt es nun; das sei alarmierend. Diese „Independents“ stellen in Massachusetts die Hälfte der Wähler. Nur jeder Sechste bekennt sich dort zu den Republikanern, jeder Dritte zu den Demokraten.

Ähnliches war Obama im November bei den Gouverneurswahlen in Virginia und New Jersey passiert. Die Demokraten, die er unterstützte, verloren – fast auf den Tag genau ein Jahr nach Obamas Triumph bei der Präsidentenwahl 2008 – auch in diesen Staaten. USA-weit hat Obama unter „Independents“ an Rückhalt eingebüßt. Sie hatten bei der Präsidentenwahl den Ausschlag für ihn gegeben. Inzwischen hat er in dieser Gruppe höhere Negativwerte als seine Vorgänger Bush, Clinton oder Reagan nach ihrem ersten Jahr im Amt.

Es geht dabei um das Verständnis von der Rolle des Staates, der Wirtschaft und der Eigenverantwortung der Bürger in den USA. In den Umfragen kann man ziemlich genau ablesen, wann Obama den größten Einbruch in dieser Wählerschaft erlitten hat: zwischen April und Juni, in der Zeit nach Verabschiedung des 800 Milliarden Dollar teuren Konjunkturpakets, auf das noch die Rettungsmilliarden für die Autoindustrie folgten. Das geht der Mitte zu weit. Der Staat soll sich zurückhalten und nicht zu viele Schulden machen. Auch die Gesundheitsreform betrachten diese Bürger skeptisch. Sie sind zufrieden mit den Krankenversicherungen, die sie haben – obwohl die weniger leisten als in Europa üblich.

Obama muss sich entscheiden zwischen den Forderungen der demokratischen Führer und den mutmaßlichen Wünschen der „Independents“. Parteihierarchen wie die Vorsitzende im Abgeordnetenhaus, Nancy Pelosi, wollen die Gesundheitsreform unbeirrt durch den Kongress bringen und setzen auf Verfahren, bei denen sie die veränderte Mehrheit im Senat ignorieren können. Doch es ist unsicher, ob sie sich dabei auf alle Demokraten im Abgeordnetenhaus stützen kann. Viele fürchten nach dem Schock aus Massachusetts um ihre eigene Wiederwahl im Herbst. Die Linken behaupten, Obama müsse die Abkehr von Bush konsequenter umsetzen, dann könne man solche Niederlagen vermeiden. Die Moderaten in der Partei sehen es gerade umgekehrt. Obama tue nicht zu wenig, sondern zu viel. Die Mehrheit könne er nur retten, wenn er sich noch stärker von der Linken ab- und der Mitte zuwende.

 Christoph von Marschall[Washington]

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