zum Hauptinhalt
Wochenlang haben Angehörige isralischer Terroropfer vor dem Parlament gegen die Freilassung von Palästinensern aus israelischer Haft demonstriert.

© Reuters

Nahost-Friedensgespräche: Frei nach 25 Jahren in einem israelischen Gefängnis

Vor 25 Jahren hat der Palästinenser Mahmud fünf Israelis getötet – jetzt freut sich die Familie auf seine Freilassung. Die Mutter eines seiner Opfer reagiert verständnislos. „Mörder sollten im Gefängnis sterben“, sagt sie.

Fida Abu Kharbisch traut ihrem Glück nicht. „Ich glaube nicht, dass er wirklich freikommen wird“, sagt die 77 Jahre alte Mutter von Mahmud. Seit rund 25 Jahren sitzt ihr Sohn in Israel in Haft – wegen fünffachen Mordes. Jetzt soll er freikommen. Er befindet sich auf einer Liste von insgesamt 104 palästinensischen Langzeithäftlingen, die Israel in den kommenden neun Monaten entlassen will, um so die Friedensgespräche mit den Palästinensern zu begleiten. Für Fida würde damit ein Traum wahr: „Ich könnte mein Glück nicht fassen. Ich würde für ihn die ganze Straße kehren. Ich will doch nur, dass er mit seiner Frau und Tochter glücklich wird“, sagt sie.

Angehörige palästinensischer Gefangener in israelischen Gefängnissen freuen sich, ihre Söhne oder Ehemänner wieder in ihre Arme schließen zu können. Das Bild zeigt eine Frau, deren Sohn nun freikommen soll.
Angehörige palästinensischer Gefangener in israelischen Gefängnissen freuen sich, ihre Söhne oder Ehemänner wieder in ihre Arme schließen zu können. Das Bild zeigt eine Frau, deren Sohn nun freikommen soll.

© AFP

Nur wenige Kilometer von Fidas Haus in Jericho entfernt sitzt die 80 Jahre alte Geula Dolorosa in einer kleinen Wohnung in Jerusalem. Sie kocht vor Wut und Enttäuschung. Mahmud, der in den kommenden Wochen freikommen soll, ist der Mörder ihres Sohns David. „Mörder sollten nie freikommen, sondern im Gefängnis sterben“, sagt sie. Wochenlang belagerte sie Abgeordnete im Parlament, um gegen die Freilassung der Häftlinge zu kämpfen – ohne Erfolg. Die Parlamentarier hörten zwar voller Mitgefühl zu, Minister mieden sie jedoch. „Sie können es nicht ertragen, Hinterbliebenen von Terroropfern in die Augen zu schauen und ihnen zu sagen: Wir lassen die Mörder eurer Kinder, Männer, Mütter frei. Oder sie schämen sich dafür“, sagt Geula. Jetzt fühlt sie, „als bringe man meinen David ein zweites Mal um“.

Seit der ersten Intifada regieren die Konservativen in Israel

Fida und Geula erinnern sich noch genau an jenen Tag, der ihr Leben veränderte. Die erste Intifada tobte seit Monaten. Überall warfen Palästinenser Steine auf Israelis, die antworteten mit Tränengas, manchmal mit scharfer Munition. So auch in Jericho, wo ein Busfahrer einen Palästinenser erschossen hatte. Am 30. Oktober, zwei Tage vor den Wahlen in Israel, wollte Mahmud Rache nehmen. „Er war erst 23 Jahre alt und nicht besonders reif“, sagt sein Bruder Muhammad. Mahmud warf drei Brandsätze auf einen israelischen Bus. Darin saß David. Eine ganze Wand in Geulas Wohnzimmer ist seinem Andenken gewidmet. Fotos hängen neben Gedichten, in einer Vitrine liegen Gebetsriemen und das Gebetbuch, das er an jenem Tag bei sich trug.

Die 75-jährige Fida Abu Kharbisch traut den Nachrichten noch nicht so ganz. Ihr Sohn Mahmud hat vor 25 Jahren einen Brandsatz in einen Bus geworfen und dadurch fünf Israelis getötet. Nun soll er freikommen.
Die 75-jährige Fida Abu Kharbisch traut den Nachrichten noch nicht so ganz. Ihr Sohn Mahmud hat vor 25 Jahren einen Brandsatz in einen Bus geworfen und dadurch fünf Israelis getötet. Nun soll er freikommen.

© Abdalla

Nachdem der Bus Feuer gefangen hatte, wollte der 19 Jahre alte Soldat anderen Insassen helfen, aus dem Fahrzeug herauszukommen. Dabei atmete er jedoch den tödlichen Rauch ein. Zwei Monate rang er mit einer Rauchvergiftung bevor er starb. Mahmud wurde drei Tage nach dem Attentat verhaftet. Die Armee riss das Haus seiner Familie ab. Bis heute liegt dort ein Trümmerhaufen. Frau und Tochter wohnten fortan bei Mahmuds Brüdern. Das Attentat hatte Folgen: Bei den Wahlen stimmten die Israelis wütend für die rechte Likud-Partei.

Die 80-jährige Geula Dolorosa ist erschüttert, dass der Mörder ihres Sohnes David freikommen soll. Sie sagt: "Mörder sollen im Gefängnis sterben."
Die 80-jährige Geula Dolorosa ist erschüttert, dass der Mörder ihres Sohnes David freikommen soll. Sie sagt: "Mörder sollen im Gefängnis sterben."

© Gil Yaron

Geula kämpft aus mehreren Gründen gegen Mahmuds Freilassung. Da sind Kindheitserinnerungen aus Jerusalem: Schon damals „stürmten die Araber freitags nach dem Gebet aus den Moscheen und schrien ,Itbah al Jahud!’ – schlachtet die Juden“, erzählt Geula. „Ich glaube nicht, dass die Araber Frieden wollen“, sagt sie. Mit dieser Meinung ist sie kaum allein. Neun von zehn Israelis sind gegen die Freilassung von Mördern – nicht nur, weil es ihrem Gerechtigkeitssinn widerstrebt, auch aus Angst. Laut Statistiken der Sicherheitsdienste begehen rund 50 Prozent der Freigelassenen wieder Attentate.

Geula hat auch ein persönliches Motiv. Wenn sie ihren Sohn nie lebendig wiedersehen kann, dann soll es der Mutter des Mörders mit ihrem Sohn genauso gehen: „Vielleicht ist das auch der Wunsch nach Rache“, sagt sie. Fida kann das verstehen. „Hätte ihr Sohn meinen Mahmud ermordet, würde ich wahrscheinlich dasselbe sagen.“ Im Gegensatz zu anderen Palästinensern betrachtet sie Mahmuds Attentat nicht als Heldentat: „Ich wünschte, er wäre damals mit seiner Frau und seinem Kind spazieren gegangen.“ Ihren Sohn sieht sie nur alle paar Wochen. Im Gefängnis darf sie 15 Minuten lang durch eine Glasscheibe mit ihm sprechen.

Trotz allem hegen beide Frauen einen frommen Wunsch. „Ich wünschte, Juden und Araber würden sich eines Tages versöhnen“, sagt Fida. Auch Geula, die fließend Arabisch spricht, hat nicht alle Hoffnung aufgegeben: „Natürlich gibt es unter Arabern auch gute Menschen. Israel darf Häftlinge nicht freilassen, aber auch nicht aufhören zu versuchen, Frieden zu schließen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false