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Politik: Nahost-Gipfel: Die israelische Gesellschaft will den Frieden - aber nur wenn sich nichts ändert (Kommentar)

Die Menschen sind oft widersprüchlich. Sie wollen, dass etwas für die Umwelt getan wird, aber sie schimpfen, wenn sie mehr Geld fürs Benzin bezahlen sollen.

Die Menschen sind oft widersprüchlich. Sie wollen, dass etwas für die Umwelt getan wird, aber sie schimpfen, wenn sie mehr Geld fürs Benzin bezahlen sollen. Sie wollen, dass den Menschen im Osten geholfen wird, aber sie nörgeln über den Solidarbeitrag. Sie wollen, dass die Innenstädte belebt sind, aber sie fahren ins Umland zum Einkaufen. In solchen Fällen macht es kein Spaß, Politiker zu sein.

Auch Israels Ministerpräsident Ehud Barak hat derzeit wenig Freude an seinem Beruf. Das Land tobt seine Widersprüchlichkeit hemmungslos aus. Eine deutliche Mehrheit der Israelis will den Frieden mit den Palästinensern. Das sagen die Umfragen. Eine deutliche Mehrheit ist sogar zu Konzessionen bereit. Aber wann immer Details über den möglichen Endstatus der Gespräche bekannt werden, schreit die gekränkte Volksseele auf. Was? Wir sollen mehr als neunzig Prozent der Westbank zurückgeben? Was? Die Palästinenser dürfen ihre Hauptstadt in einem kleinen Vorort von Jerusalem errichten? Was? Es sollen palästinensische Flüchtlinge zurückkehren dürfen? Es ist wie verhext: Einerseits soll endlich Frieden sein, andererseits darf sich nichts verändern. Dass das nicht geht, verstehen die Wenigsten.

Insofern sind die spektakulären Aus-, Rück- und Übertritte der diversen Minister in den vergangenen Tagen ein Spiegelbild der israelischen Gesellschaft. Diese Politiker leben aus, was ein Großteil der Bevölkerung empfindet. Wenn allerdings Reife darin besteht, die politischen Ziele und Mittel in Übereinstimmung zu bringen, führt sich die israelische Gesellschaft zur Zeit reichlich kindisch auf. Jeder weiß, dass es jetzt, bei den Verhandlungen in Camp David, ans Eingemachte geht. Absichtlich waren die heikelsten Punkte - Jerusalem, Wasser, Flüchtlinge - bislang ausgeklammert worden. Aber der Fahrplan war klar. Wer den Friedensprozess befürwortet, muss einsehen, dass es keine Alternative zu den Kompromissen gibt, auf die Barak hinarbeitet.

Oder vielleicht doch? Vielleicht wollen einige israelische Kindsköpfe ja gar keinen Frieden. Vielleicht ziehen sie, aus Trotz und Egoismus, das politische Chaos, das sie nun angerichtet haben, jeder Veränderung vor - selbst der Veränderung zum Besseren. Manchmal sind die Menschen so. Und sicher werden die Turbulenzen noch heftiger. Denn einerlei, wie die Verhandlungen in Camp David ausgehen: Barak wird das Ergebnis kaum durchsetzen können. Jedenfalls nicht unmittelbar. Sowohl er als auch Palästinenserpräsident Jassir Arafat wollen ein Abkommen ihrem Volk zur Abstimmung vorlegen. Doch in Israel ist das entsprechende Gesetz, das diese Abstimmung ermöglicht, noch nicht verabschiedet worden. Und Baraks Restkoalition wird dazu die Kraft fehlen. Was bleibt, sind vorgezogene Neuwahlen.

Es ist grotesk: Nie waren die Voraussetzungen für den Frieden günstiger. Barak ist beliebt, die Wirtschaft floriert, die Opposition ist schwach. Und trotzdem ist der Gestaltungsspielraum der Regierung klein. Eine Gesellschaft, die zunehmend in Einzelinteressen zerfällt, blockiert sich selbst. In normalen Zeiten ist das nicht schlimm. Aber wenn es um Krieg oder Frieden geht, um existenzielle Dinge also, kann Lähmung in die Katastrophe führen.

Noch ist es nicht so weit. Und der Friedensprozess, der schon so oft für beendet erklärt worden ist, hat sich als erstaunlich stabil erwiesen. Es gab Terror, Attentate - und Netanjahu. Trotzdem haben sich Israelis und Palästinenser immer weiter angenähert. Das haben sie nicht zuletzt dem Einsatz der Vereinigten Staaten zu verdanken. Aber auch Bill Clinton wird in seiner Amtszeit das Ende des Nahostkonflikts nicht mehr erleben. Es dauert eben, bis aus Kindern Erwachsene werden.

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