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Politik: Nahost-Konflikt: Der Rückzug aus dem Libanon brachte Israel keinen Frieden

Hals über Kopf hat sich die israelische Armee vor einem Jahr aus Südlibanon zurückgezogen. Doch inzwischen sind sich die Menschen in Israel nicht mehr sicher, ob der Rückzug taktisch klug war.

Hals über Kopf hat sich die israelische Armee vor einem Jahr aus Südlibanon zurückgezogen. Doch inzwischen sind sich die Menschen in Israel nicht mehr sicher, ob der Rückzug taktisch klug war. Viele glauben heute, dass der Rückzug praktisch der Ausgangspunkt für die Unruhen in den Palästinensergebieten war, die wenige Monate später, Ende September, begannen.

Vor einem Jahr hatte der damalige Ministerpräsident Ehud Barak den Abzug vor allem deshalb angeordnet, um Syrien das Druckmittel der ständigen Hisbollah-Angriffe zu nehmen. Doch die Gewalt nahm seither kein Ende. Für die Hisbollah ist die israelische Besatzung erst dann vorbei, wenn auch das umstrittene Gebiet der Schebaa-Farmen im Grenzgebiet zwischen Israel, Libanon und Syrien geräumt ist. Bis dahin werde "der Widerstand weitergehen", sagt Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah.

Drei israelische Soldaten starben seit November bei Hisbollah-Attacken auf dem Gebiet der Schebaa-Farmen, vier Israeli sind seit Monaten gefangen. Seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Ariel Scharon betreibt Israel eine Politik der Vergeltung: Nachdem im April ein israelischer Soldat von der Hisbollah getötet wurde, antwortete Israel mit den ersten Angriffen auf syrische Stellungen seit 1982. Ein syrischer Soldat wurde dabei getötet, vier verletzt. Syrien sei der "eigentliche Hausherr" in Libanon, argumentiert Israels Verteidigungsminister Benjamin Ben Elieser. Den syrischen Präsidenten Baschar el Assad warnte Elieser am Mittwoch erneut, Israel werde auf Hisbollah-Angriffe mit Attacken auf die syrischen Truppen in Libanon reagieren.

Die Drohungen machen Nahost-Experten Sorge: "Uns steht ein weiterer Konflikt bevor, der seinen Ausgangspunkt in Libanon haben wird", ist sich der israelische Wissenschaftler Gerald Steinberg vom Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien der Universität Bar-Ilan sicher. Auch die israelische Führung scheint sich zunehmend auf ein solches Krisenszenario einzustellen. Hisbollah-Angriffe auf Nordisrael könnten eine Eskalation bewirken, die zum Krieg mit Syrien führen könnte, sagte der stellvertretende israelische Generalstabschef Mosche Jaalon.

Sicher ist, dass der israelische Abzug aus Libanon zu einem Popularitätshoch für die Hisbollah-Miliz unter den Palästinensern geführt hat. Der heute pensionierte israelische General Effi Eitam hatte damals gewarnt: "Sie werden nicht die israelische Armee aus Libanon abziehen, sondern Libanon nach Israel holen."

Tatsächlich wurde der überstürzte Abzug vor einem Jahr in der arabischen Welt als Beleg dafür gewertet, dass die israelische Armee nicht unbesiegbar sei. Der israelische Regierungssprecher Raanan Gissin meint heute, die Palästinenser hätten den Eindruck, "dass anhaltende Gewalt gegen Israel dazu führen wird, Israel aus dem Westjordanland und den jüdischen Siedlungen zu vertreiben."

Christian Chaise

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