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Politik: Nahost-Krise: Freilassung auf eigene Faust

Israel wird in "einem See aus Blut baden", ruft ein Araber durch ein Megafon der Menge zu. Rund 1000 Anhänger der militanten Hamas-Organisation haben sich vor dem Gefängnis von Nablus versammelt.

Israel wird in "einem See aus Blut baden", ruft ein Araber durch ein Megafon der Menge zu. Rund 1000 Anhänger der militanten Hamas-Organisation haben sich vor dem Gefängnis von Nablus versammelt. Nur wenige Augenblicke später öffnet die palästinensische Verwaltung die Tore der Haftanstalt, und etwa 35 verurteilte Extremisten der Gruppen Hamas und Islamischer Dschihad treten in die Freiheit. Damit stürzen nach dem Lynchmord an zwei israelischen Soldaten und den darauf folgenden israelischen Vergeltungsangriffen innerhalb weniger dramatischer Stunden die letzten Säulen des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses ein.

Die Interimsabkommen zwischen beiden Seiten beruhten auf der Grundlage, dass Israel mit einer starken palästinensischen Sicherheitstruppe zusammenarbeitet und diese bewaffnet. Die palästinensische Polizei sollte im Gegenzug israelische Sicherheitsinteressen wahrnehmen und vor allem islamistische Extremisten daran hindern, mit immer neuen Terroranschlägen gegen israelische Zivilisten den Friedensprozess zu torpedieren.

Seit dem Durchbruch vor sieben Jahren, als sich beide Konfliktparteien im Abkommen von Oslo gegenseitig anerkannten, bis zum Scheitern der Friedensverhandlungen in Camp David vor drei Monaten hat es in dem zerbrechlichen Verhältnis beider Völker wiederholt Rückschläge gegeben. Doch jedes Mal erholten sich die Beziehungen wieder. Nach dem "blutigen Donnerstag" und der Freilassung extremistischer Häftlinge bleiben von dem komplexen Beziehungsgebäude, das seit Oslo errichtet worden ist und praktisch die Geschäftsgrundlage zwischen beiden Völkern bildete, nur noch Trümmer übrig.

Die Aufseher des Gefängnisses Dscheid in Nablus erklärten, sie hätten die Gefangenen in eigener Regie und nicht auf Befehl der politischen Führung freigelassen. Sie handelten nach eigenen Worten aus Sorge, die Häftlinge könnten Ziel eines israelischen Raketenangriffs werden. Auch in Gaza wurden 350 Häftlinge aus palästinensischen Gefängnissen entlassen, darunter auch Dutzende islamistischer Extremisten. "Alle Häftlingen haben die palästinensischen Gefängnisse verlassen, da die palästinensische Behörde sie dort nicht beschützen kann", sagte Ismail Hanieh, der zur Hamas-Führung gehört. Berichten zufolge sollen sich unter den Freigelassenen auch Anführer des militärischen Flügels der Hamas befinden, die hinter der Serie von Terroranschlägen auf die israelische Bevölkerung stecken sollen.

In Israel schrillen nach den Freilassungen die Alarmglocken. Ministerpräsident Ehud Barak rief die Bevölkerung zu erhöhter Wachsamkeit auf und warnte vor einer neuen Terrorwelle durch die Hamas. "Das ist ein schwerwiegender Akt, der die Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen erhöht", sagte Barak. Sein Berater Danny Jatom wirft dem palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat vor, aus der gegenüber Israel und den USA eingegangenen Verpflichtung, den Terrorismus zu bekämpfen, "Hohn und Spott" gemacht zu haben.

Die palästinensische Seite wiederum stellt Barak als Verhandlungspartner in Frage. Arafat erklärte, der israelische Regierungspolitiker sei schon in der Mitte der neunziger Jahre, damals als Militärchef, skeptisch gegenüber dem Friedensprozess gewesen. "Ist er ein wirklicher Partner?", sagte Arafat. "War er nicht der Erste, der das Abkommen von Oslo ablehnte, als er Generalstabschef war?" Arafats Chefunterhändler Sajeb Erakat sagt über Israels Ministerpräsidenten: "Das ist nicht mehr der Mann, den ich kannte, der Mann, mit dem ich zusammensaß und mit dem ich Frieden machen wollte. Ich denke nicht, dass er noch ein Partner ist."

Karin Laub

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