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Nahostkonflikt: Die Argumente der Unversöhnlichen

Immer heftiger wird die Auseinandersetzung zwischen Israel und den radikalen Palästinensern. Wohin führt das – und wo bleibt die Diplomatie?

Während auf diplomatischer Ebene um einen Waffenstillstand im Nahen Osten gerungen wird, gehen die Raketenangriffe Israels auf den Gazastreifen und in umgekehrter Richtung die Attacken auf israelisches Gebiet durch radikale Palästinenser unvermindert weiter.

Was will Israel, was will die Hamas mit diesem Waffengang erreichen?

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und sein Verteidigungsminister Mosche Jaalon haben selbst ihre schärfsten Kritiker im In- und Ausland überrascht. Anders als bei früheren „Operationen“ gegen die Hamas reden sie nicht nur davon, deren militärischen Arm, die immensen Raketenarsenale, vernichten zu wollen, sondern sie wollen auch die politische Organisation zerstören. Der Hamas soll ein so schwerer militärischer Schlag versetzt werden, dass möglichst lange Zeit, vielleicht maximal zwei Jahre, kein massiver Raketenbeschuss mehr zu erwarten ist. Im Laufe der bisherigen Kämpfe veränderten sich die taktischen Ziele: Es geht nun vor allem um die Vernichtung der mutmaßlich 400 bis 600 weiterreichenden Raketen, mit denen Hamas und der „Islamische Dschihad“ ganz Israel unter Beschuss nehmen können. Die Hamas ist ihrerseits durch ihre Charta zur Vernichtung des jüdischen Staates verpflichtet. Der in den Untergrund abgetauchten Führung geht es aber nur noch um die Siegerpose, also darum, irgendeinen vermeintlichen Erfolg vorweisen zu können.

Wie stark ist die Hamas – militärisch und politisch?

Die Hamas befindet sich in einer Existenzkrise. Sie ist finanziell ausgeblutet, weil sie keine nennenswerte Unterstützung aus der islamischen Welt mehr erhält. Ägypten hat sie mit der Grenzblockade des Gazastreifens praktisch vom Waffen-Nachschub und von Spendengeldern abgeschnitten. Intern musste sich die politische Führung in Gaza damit abfinden, dass der militärische Arm, die al-Kassam-Brigaden, die Raketenkommandos, das Sagen haben und entschlossen sind, Israel weiter zu attackieren – ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Militärisch ist die Hamas immer noch recht hoch gerüstet mit wohl mehreren tausend eigenfabrizierten Kassam-Raketen und Mörsergranaten gegen naheliegende Ziele, mittlerweile offenbar auch mit Drohnen. Auch die meisten weiterreichenden Raketen stammen, wie sich jetzt herausstellte, aus dem Gazastreifen selbst. Über die Anzahl der kampfbereiten Bodentruppen gehen die Angaben weit auseinander. Es dürften 6000 bis 10000 Mann sein.

Profitiert die Hamas politisch vom Beschuss des Gazastreifens durch Israel?

Die lautstarken Klagen der Hamas-Sprecher machen klar, wie isoliert die Hamas selbst im arabischen Raum ist. Höchstens Katar stellt sich eindeutig hinter sie. Im Westjordanland hat Israel in den letzten Wochen alle wichtigen Hamas-Aktivisten festgenommen, unter dem heimlichen Beifall von Präsident Mahmud Abbas und seiner Fatah. Im Gazastreifen, wo Hamas nach wie vor mit eiserner Hand herrscht, hatte sie im Vorfeld der Kämpfe wesentlich an Unterstützung verloren, weil die Verarmung erheblich zugenommen hatte. Im gegenwärtigen Kampf hat die Hamas-Forderung an die Zivilbevölkerung, sich als menschliche Schutzschilde gegen die israelischen Luftangriffe auf Raketen-Arsenale sowie Wohnhäuser der Hamas-Anführer zur Verfügung zu stellen, zu immer stärkerer Kritik geführt.

Wie stark ist der Druck auf Netanjahu, noch stärker gegen Hamas vorzugehen?

Netanjahu weiß sehr wohl, dass die israelischen Bürger Hamas größtmöglichen Schaden zufügen wollen – aber nur bei möglichst kleinen eigenen Verlusten. Das heißt: Die Luftangriffe können weiter intensiviert werden, doch für eine Bodenoffensive treten im Sicherheitskabinett nach wie vor nur die Minister Naftalai Bennet und Avigdor Lieberman sowie ultranationalistische Politiker und Schreihälse ein. Aber die große „schweigende“ Mehrheit will nur Ruhe und Sicherheit.

Wie könnte eine mögliche Bodenoffensive aussehen und wie wahrscheinlich ist sie?

Mit jeder gegen Israel abgefeuerten Rakete, mit jeder Stunde rückt eine in Umfang und Dauer begrenzte Bodenoffensive näher. Manche Experten sind überzeugt, dass bis Mittwoch die Entscheidung gefällt wird. Sollte eine Bodenoffensive gestartet werden, wird es nicht zur Besetzung des gesamten Gazastreifens, wohl nicht einmal von Gaza-Stadt kommen. Vielmehr wird versucht werden, die riesigen Raketen-Arsenale, versteckt unter Krankenhäusern, Kindergärten, Schulen, möglichst weitgehend zu zerstören. Das sind strategische Ziele, die man aus der Luft nicht attackieren kann, ohne schlimmste Verluste unter der Zivilbevölkerung zu riskieren. Deshalb ist – wenn überhaupt – mit Kommando-Unternehmen ähnelnden, zeitlich beschränkten Vorstößen an mehreren Orten zu rechnen, allerdings unter breitem Feuerschutz durch Panzertruppen. Ohne Zweifel würde auch das zahlreiche Opfer unter der unschuldigen palästinensischen Zivilbevölkerung fordern, und die Stimmung unter den Regierungen und Medien im Ausland würde umschlagen – gegen Israel.

Welche Chancen die Diplomatie noch hat

Welche Rolle spielt Ägypten?

In Kairo wird man es nicht ohne weiteres offen zugeben wollen, aber im Grunde begrüßt die Regierung um Präsident Abdel Fattah al Sisi das Vorgehen Israels. Es käme den Herrschenden wohl sogar entgegen, wenn Jerusalem der Herrschaft der Hamas ein Ende bereiten würde. Islamisten – egal, ob im Gazastreifen oder im eigenen Land – gelten in Ägypten inzwischen als Bedrohung für die nationale Sicherheit. Die Muslimbruderschaft, Mutterorganisation der Hamas, ist mittlerweile verboten. Wer mit ihr in Verbindung steht, wird als Terrorist betrachtet. So machen die Generäle in Kairo Kämpfer der Hamas für die immensen Sicherheitsprobleme auf der Sinai-Halbinsel verantwortlich. Insofern ist das Interesse gering, eine Vermittlerrolle bei Verhandlungen über einen Waffenstillstand zu übernehmen. Im November 2012, beim letzten Waffengang zwischen Israel und der Hamas, sah das noch anders aus. Damals war allerdings mit Mohammed Mursi ein Muslimbruder Ägyptens Präsident. Er unterstützte seine „Brüder“ im Gazastreifen. Mursi duldete etwa die Schmugglertunnel, mit denen Waren nach Gaza gebracht werden. Doch davon kann nach der Machtübernahme durch die Militärs keine Rede mehr sein.

Kommen die USA als Vermittler infrage?

Prinzipiell gehören die USA zwar zu den Mächten, die Einfluss in der Region besitzen. Doch Washingtons Interesse, zwischen den radikalen Palästinensern und Israel zu vermitteln, ist ziemlich gering. Die vor einigen Monaten erneut gescheiterten Gespräche über eine Lösung des Nahostkonflikts haben der US-Regierung schmerzhaft vor Augen geführt: Keine der beiden Seiten ist zu ernsthaften Kompromissen bereit. Und da hatte man es auf palästinensischer Seite immerhin mit dem als moderat geltenden Mahmud Abbas zu tun. Jetzt müsste Washington versuchen, auf die militante Hamas einzuwirken, die sich selbst als Terrororganisation einstufen. Auf der anderen Seite steht mit Benjamin Netanjahu einer, der mit Präsident Barack Obama in vielen Fragen über Kreuz liegt. Israels Premier ist überzeugt, dass Washington weder ein Gefühl für die Lage in der Region besitzt noch für die Bedürfnisse des jüdischen Staates.

Was kann Deutschland zur Deeskalation beitragen?

Außenminister Frank-Walter Steinmeier flog am Montag zu Gesprächen in den Nahen Osten, er will zunächst mit der jordanischen Regierung reden. Am Dienstag reist er nach Israel und ins Westjordanland weiter, wo er den israelischen Außenminister Avigdor Lieberman und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas treffen will. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes machte klar, dass es sich dabei nicht um eine klassische Vermittlungsmission handelt, von der konkrete Fortschritte zu erwarten sind. Berlin gibt sich offenbar nicht der Illusion hin, Deutschland könne in einer Situation auf die israelische Regierung oder die Hamas einwirken, in der auch die weit einflussreichere US-Diplomatie an ihre Grenzen stößt. Es gehe darum, Chancen für eine Deeskalation auszuloten, sagte die AA-Sprecherin. Steinmeier hatte vor der Reise in Telefonaten mit Vertretern von Golfstaaten die Einschätzung regionaler Akteure eingeholt.

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