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Napolitano wurde am Wochenende auf Knien angefleht, noch ein Mal das Amt des Staatschefs zu übernehmen. Das verschafft ihm eine starke Stellung.

© dpa

Napolitanos Amtseinführung: "Wenn sie wieder nicht hören wollen, gehe ich"

Der wiedergewählte Präsident Napolitano hält bei seiner neuerlichen Amtseinführung den italienischen Partei eine Standpauke: "Nur von Reformen reden, reicht nicht."

Die Situation ist an Absurdität kaum zu überbieten: Da steht ein fast 88-jähriger Staatspräsident vor dem Parlament, rügt in unerbittlich harten Worten alles, was die "politischen Kräfte" in Italien in den vergangenen Jahrzehnten an "Versäumnissen, Schäden, Unverantwortlichkeiten und Engstirnigkeiten" angerichtet haben – und genau diese vor ihm versammelten politischen Kräfte quittieren jeden Satz mit rauschendem Applaus.

Nichts sei getan worden in Sachen Reformen, sagt der Staatschef Giorgio Napolitano; Korruption habe sich breitgemacht, und "was für Transparenz und Moral in der Politik hätte gemacht werden können, ist leichthin ignoriert oder entwertet worden". Dann fährt Napolitano fort, in seiner ersten siebenjährigen Amtszeit seien "alle meine Überzeugungsversuche zunichte gemacht worden durch die Taubheit derselben Kräfte, die mich jetzt noch einmal gerufen haben, die politischen Institutionen aus ihrem fatalen Stillstand herauszuholen." Sollte er "noch einmal auf dieselbe Taubheit stoßen", dann werde er "nicht zögern, vor dem ganzen Land die Konsequenzen zu ziehen."

Es ist ein starker Staatspräsident, der da vor den beiden Kammern des Parlaments an diesem Montag Abend seinen zweiten Amtseid leistet. Keiner vor ihm ist wiedergewählt worden; auch Napolitano wollte das auf keinen Fall, er hatte im Quirinalspalast schon seine Sachen für den Auszug zusammengepackt – aber diesmal haben die Parteien keinen anderen gefunden. Nach fünf erfolglosen Wahlgängen und ohne jede andere Perspektive haben sie Napolitano am vergangenen Samstag schier auf Knien angefleht zu bleiben, und das verschafft ihm jetzt eine stärkere Stellung als je zuvor. Allein seine bereits in die Antrittsrede eingebaute Rücktrittsdrohung ist in der heutigen Situation Italiens eine mächtige Waffe.

Drei mehr oder weniger gleich große Blöcke im Parlament – "drei Minderheiten", wie man bereits sagt – haben in den zwei Monaten seit der Wahl zu keiner Zusammenarbeit gefunden; praktisch haben sie nicht einmal miteinander gesprochen. Aber nachdem sie, um Napolitano zu gewinnen, einmütig "nationalen Zusammenhalt" gelobt haben, ruft sie der Staatspräsident nun tatsächlich zur Räson. Überall in Europa, sagt Napolitano, sei es völlig normal, dass mehrere Parteien gemeinsam regierten; "der Horror hingegen vor allen Verständigungen, allen Bündnissen, allen Mediationen", der sich in Italien ausgebreitet habe, sei "Zeichen für einen Rückschritt". Zwanzig Jahre lang, sagt der Staatspräsident, auf die Zeit seit dem Eintritt Silvio Berlusconis in die Politik anspielend, hätten sich die Parteien nur gegeneinander gestellt – "bis hin zum Verlust der generellen Idee eines zivilen Zusammenlebens"; jetzt hoffe er, "die Zeit für gemeinsames Suchen nach Lösungen könnte endlich reif werden". Und: "Nur von Reformen reden, reicht nicht mehr."

Dass Napolitano auf eine "zwingende" große Koalition zwischen den inzwischen führungslosen Sozialdemokraten, Silvio Berlusconis "Volk der Freiheit" und Mario Montis "Bürgerwahl" abzielt, ist klar. Er strebt – obwohl er es als Staatspräsident könnte – trotz des Patts im Parlament offenbar nicht an, die Volksvertretung so schnell wie möglich aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben. Mehr Hinweise für die "unverzüglich notwendige Bildung einer Regierung" gibt er aber auch nicht. Zwar wird erwartet, dass Napolitano in seiner gestärkten Stellung und nach neuen Konsultationen mit den Parteien noch diesen Mittwoch – am Donnerstag ist Nationalfeiertag – einen von allen akzeptierten, reformorientierten Ministerpräsidenten vorschlägt; er ruft aber auch gleich die Parteien zur Verantwortung: "Der Staatspräsident kann kein Mandat erteilen; eine Regierung gibt es nur, wenn beide Kammern des Parlaments ihr das Vertrauen aussprechen."

Zur Verantwortung ruft Napolitano auch die 163 Abgeordneten der fundamentaloppositionellen "Fünf-Sterne-Bewegung" von Beppe Grillo. Sie müssten sich, sagt der Staatspräsident, der "harten demokratischen Dialektik im Parlament" stellen und dürften keine "abenteuerliche und abwegige Gegenposition zwischen Parlament und Straße" aufbauen. Eine Internetdemokratie nach Grillos Ideen lehnt Napolitano ab: "Es gibt keine wirklich demokratische, repräsentative und wirksame Mitsprache an den öffentlichen Entscheidungen ohne die Parteien, die fähig sein müssen zur Selbstreform, oder ohne organisierte politische Bewegungen." Die "Grillini" sind an diesem Tag die einzigen im Parlament, die Napolitano nicht applaudieren. Einer twittert aus der Vollversammlung sogar: "Not in my name."

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