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Politik: Narziss und Vollmund

Von Lorenz Maroldt

Was war das für eine Zeit, damals, im Herbst 1995. SPDParteitag in Mannheim, Oskar Lafontaine stürzt den Vorsitzenden Rudolf Scharping – mit einer Rede. „Ihr seht also, liebe Genossinnen und Genossen, es gibt noch Politikentwürfe, für die wir uns begeistern können. Wenn wir selbst begeistert sind, können wir auch andere begeistern. In diesem Sinne: Glückauf!“

Oskar Lafontaine will noch einmal begeistern, diesmal Seit’ an Seit’ mit Gregor Gysi, auf einer Einheitsliste der PDS. Ihre Strategie: getrennt kämpfen, einer im Westen, der andere im Osten, vereint schlagen, und zwar: die SPD. Lafontaine und Gysi also – Narziss und Vollmund, einer wie der andere, Salonlinke, Aufgeber, Einmischer, Agitateure, Charmeure, Talkshowsessel-Schwadroneure. Aber jetzt auch eben wieder Akteure. Die Einigung auf ein Linksbündnis bedeutet deshalb einen weiteren Einschnitt in dieser einschnittreichen Zeit: Jetzt gibt es auch eine linke Alternative. Einen anderen Politikentwurf, gewissermaßen.

Das Buch, in dem Lafontaine vor drei Jahren mit Rot-Grün abgerechnet hat, trägt den Titel „Die Wut wächst“. Damals gab es noch keine Ich-AGs und Ein-Euro-Jobs, die Arbeitslosenzahl hatte die Fünf-Millionen-Marke nicht erreicht. Heute müsste die Wut noch größer geworden sein. Darauf gründet die Erwartung von Lafontaine und Gysi, in den Bundestag einziehen zu können.

Dem entgegen steht die Ratlosigkeit, die zugleich gewachsen ist, wie auch die Niedergeschlagenheit. Der Protest gegen die Sozialreformen ist schneller in sich zusammengefallen, als viele dachten. Dem entspricht auch das mäandernde Verhalten der Gewerkschaften. Sie gehen auf Äquidistanz zum Linksbündnis und der SPD, vorsichtshalber, und warnen, wie DGB-Chef Sommer gerade, vor „schweren Verwerfungen“ bis hin zu einer Rechtsradikalisierung der Gesellschaft, sollte nach den Sozialdemokraten auch die Union im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit scheitern.

Aber während sich die Lieblingsfeinde der Gewerkschaften, die Liberalen, gerade zurückhalten, betont der bayerische Teil der Union auffällig eindringlich das Soziale im Namen der Partei. Das klingt doch sehr nach Gerhard Schröder, der nicht alles anders, aber manches besser machen wollte. Die FDP dagegen will fast alles anders machen; was die CDU will, muss sie noch sagen. So sind sich Lafontaine und Müntefering heute politisch viel näher, als es Stoiber und Westerwelle je sein werden. Doch Erstere können nicht mehr zusammenkommen, Letztere werden gemeinsam regieren, wenn sie dazu vom Volk legitimiert sind.

Lafontaines Politikentwurf ist nicht modern. Er führt zurück, jedenfalls emotional. Dazu gehört, dass er Deutschland nicht am Hindukusch verteidigen will. Auf seiner Seite hat er dabei neben den Sozialisten aus dem Osten aber auch so manche Statistik. Die Staatsquote zum Beispiel ist unter Rot-Grün gesunken, die Gewinnquote gestiegen. Ideen wie die Ich-AGs, im Grundsatz von der Union unterstützt, sind gefloppt, Hartz IV, ebenfalls im Prinzip von der Union mitgetragen, ist ein teures, bürokratisches Monster geworden. Großen Unternehmen wurde viel von ihrer Steuerlast genommen, im Niedriglohnsektor arbeiten inzwischen 20 Prozent der Beschäftigten, die Zahl der betrieblichen Bündnisse ist gestiegen – aber alles das hat nichts daran geändert, dass die Zahl der Arbeitslosen steigt und steigt. Das spricht eher dafür, nicht nur manches besser, sondern vieles anders zu machen.

Im Gegensatz zu damals, als Lafontaine seine Partei für etwas begeistern konnte, will er heute vor allem gegen etwas begeistern, nämlich: gegen die Reformpolitik von Rot-Grün. Aufbruchstimmung erzeugt er so nicht, schon gar nicht mit einem angekränkelten, zum Jagen getragenen Gysi und dessen grauer Truppe. Fast ein Fünftel der Wähler, heißt es, könne sich vorstellen, einem Linksbündnis die Stimme zu geben. Doch das ist vor allem ein Ausdruck der Ratlosigkeit und der Abrechnungslust, Letzteres gilt auch für Lafontaine. Wo ist das Ziel, wo der Weg?

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