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Julian Assange, der Gründer von "Wikileaks", am Freitag im Polizeiwagen auf dem Weg in die U-Haft.

© Peter Nicholls, Reuters

Narzisstisch, paranoid, unberechenbar: Trotz allem müssen wir fair zu Assange sein

Wer geheime Dokumente enthüllt, darf parteiisch sein. Warum die Pressefreiheit auch im Fall Assange verteidigt werden muss. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Wer sich mit allen anlegt, wird von allen verfolgt. Wer jedes Netz zerreißt, das ihn auffangen könnte, darf sich nicht wundern, wenn er sehr tief fällt. Julian Assange, der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, ist von Scotland Yard verhaftet worden. In Großbritannien droht ihm eine Haftstrafe, die USA fordern seine Auslieferung. Dort hat er so ziemlich jeden verprellt - die Geheimdienste, den Sicherheitsapparat, das Militär. Die Demokraten verübeln es ihm, im Oktober 2016, auf dem Höhepunkt des Präsidentschaftswahlkampfes, Dokumente aus dem Email-Account des Wahlkampfleiters von Hillary Clinton veröffentlicht zu haben. Die Konservativen bezichtigen ihn des Landesverrats, der Spionage, der Verschwörung und der Gefährdung des Lebens amerikanischer Diplomaten und Soldaten. Die Liebelei zwischen Donald Trump und dem australischen Aktivisten, Hacker und Journalisten währte nur kurz.

Assanges Ruf ist ruiniert. Doch ein Stachel im Fleisch der Mächtigen zu sein, ist nicht strafbar

Auch außerhalb der USA hat Assange kaum noch Freunde. Er gilt als narzisstisch, paranoid, unberechenbar. In Schweden war ihm im Jahre 2010 Vergewaltigung vorgeworfen worden, das Verfahren wurde 2017 eingestellt. Bei Wikileaks soll er einen Antisemiten beschäftigt haben. Die Organisation werde streng hierarchisch geführt, heißt es, sei selber intransparent und entziehe sich jeder Kontrolle. Energisch bestritten wird, dass Assange neutral und nur dem Gebot der Transparenz verpflichtet sei. Vielmehr verfolge er eine politische Agenda, die sich sehr oft gegen amerikanische Interessen richte. Der Ruf des einst als Internet-Rebell gefeierten, radikal aufklärerisch agierenden 47-Jährigen ist ramponiert, wenn nicht gar ruiniert.

Dennoch ist bei einem nun möglichen Gerichtsverfahren gegen ihn in den USA äußerste Sorgfalt geboten. Gerade weil für so viele Menschen das Urteil über Assange feststeht, muss klar sein, was genau ihm zur Last gelegt wird. Ein Stachel im Fleisch der Mächtigen zu sein, ist nicht strafbar.

Ein Fundament der freiheitlich-demokratischen Ordnung

Parteien und politische Institutionen haben das Recht, Dinge geheim halten zu wollen. Aber die Presse und investigativ arbeitende Journalisten haben ihrerseits das Recht, auch streng geheime Unterlagen zu veröffentlichen. Dieses Prinzip wurde 1962 in der „Spiegel“-Affäre verteidigt („Bedingt abwehrbereit“), und 1967, als die „Washington Post“ die "Pentagon Papers" über den Vietnamkrieg veröffentlichte. Vor drei Jahren erst enthüllten die „Panama Papers“ globale Strategien der Steuervermeidung und Geldwäsche.

Waren die Enthüller immer nur einer unparteiischen Form der Wahrheit verpflichtet? Das müssen sie nicht, um sich auf das Recht auf freie Meinungsäußerung berufen zu können. Die Animositäten des „Spiegel“-Herausgebers Rudolf Augstein gegen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß waren legendär und dürften durchaus eine Rolle bei den Recherchen gespielt haben. Haben diese Animositäten das Recherche-Ergebnis kompromittiert? Nein.

Die US-Justiz scheint sich der verfassungsrechtlichen Problematik einer Anklage Assanges wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente bewusst zu sein. Offenbar will sie ihm ausschließlich vorwerfen, gemeinsam mit Chelsea Manning, der Whistleblowerin der US-Militärdokumente und Diplomatendepeschen, in die Netzwerke der Regierung eingedrungen zu sein. Nur der Diebstahl soll geahndet werden, nicht die Verbreitung des erbeuteten Materials. Das kann man als Trick werten – oder als Indiz für eine wichtige Erkenntnis: Die Kriminalisierung der Publikations-Tätigkeiten von „Wikileaks“ wäre eine Gefährdung der Pressefreiheit, die ein Fundament der freiheitlich-demokratischen Ordnung ist.

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