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Nationalsozialismus: In einer schwierigen Lage

Über Ernst von Weizsäckers Rolle im Dritten Reich wird wieder diskutiert. Wie geht sein Sohn Richard von Weizsäcker damit um?

Der Fall Weizsäcker, was heißt: die Rolle von Ernst von Weizsäcker, dem ranghöchsten Beamten im Auswärtigen Amt des Dritten Reiches, hat vom Nürnberger Prozess an, in dem er verurteilt wurde, immer wieder die Gemüter erhitzt und ist Thema der Auseinandersetzung gewesen. Das gilt erst recht für die Familie Weizsäcker und natürlich für Richard von Weizsäcker, den Bundespräsidenten, der als junger Jurastudent die Verteidigung des Vaters unterstützt hat. Immer hat er sich vor seinen Vater gestellt und versucht, für dessen Versicherung Verständnis zu erwecken, dass er im Amt geblieben sei, um den Krieg zu verhindern.

Mit der in dieser Woche erschienenen Studie zur NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amtes („Das Amt“) ist die Rolle Ernst von Weizsäckers erneut zum Thema geworden. Wie die Historikerkommission belegt, hat der Staatssekretär an der Ausbürgerung des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann mitgewirkt und bereits 1938 davon gesprochen, die Juden müssten Deutschland verlassen, „sonst gingen sie eben über kurz oder lang ihrer vollständigen Vernichtung entgegen“. War das eine Warnung oder eine Drohung? Eine „Warnung“, sagt Richard von Weizsäcker. Wieder wird er zum Verteidiger seines Vaters, der 1951 gestorben ist. Im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ besteht er darauf, „Das Amt“ sei kein Buch über seinen Vater. Dieser habe, und dabei zitiert er einen der Richter des Nürnberger Prozesses, „im Kampf und Gesittung und Frieden ... eine heldenhafte Rolle gespielt“. Ernst von Weizsäcker sei im Amt geblieben, um Juden und anderen Verfolgten zu helfen.

Am heftigsten hat dieser These in der Vergangenheit wohl „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein widersprochen. Unter dem Titel „Die neue Auschwitz-Lüge“ hielt dieser Weizsäcker im Oktober 1986 vor, dass sein Vater mit seinem Verbleiben im Amt „seinem Führer ... bis zum letzten Tag gedient“ habe, dass er sich also dem „Nazi-Regime zur Verfügung gestellt“ habe, was der Sohn nicht wahrhaben wolle. Als Weizsäcker sich dagegen wehrt, legt Augstein nach: Es seien eben die „Weizsäckers“ gewesen, „die Hitlers und Ribbentrops Krieg mitgetragen und mitgeführt“ hätten.

Weizsäcker setzt dagegen seine Sicht der Haltung des Vaters. Diesen habe nicht der Wunsch geleitet, „sich dem Regime zur Verfügung zu stellen, sondern der Versuch, in den Gang der deutschen Außenpolitik einzugreifen“. Er wünsche keinem, in die Lage zu kommen, in der sein Vater gewesen sei. Das bleibt der Tenor seiner Verteidigung, bis heute. Er wie auch sein Bruder Carl Friedrich sind nie darüber hinausgegangen. Was nichts daran ändert, dass der Vater ein Reizthema im Verhältnis der Öffentlichkeit zur Familie geblieben ist. Erst im Frühjahr hat Richard von Weizsäcker auf die Frage, ob ihn der Vater noch immer beschäftige, geantwortet: „Es gibt keine historische, keine moralische, keine menschliche Immunität, im Alter wie in der Jugend.“

Weizsäcker ist keineswegs blind gegenüber den Zweifeln und Vorbehalten, die – mit guten Gründen – gegenüber seinem Vater geäußert worden sind. Ebenfalls in seinen „Erinnerungen“ hat er selbst die Haltung seines Vaters einer ganzen Fülle von Fragen ausgesetzt: „War es möglich, war es überhaupt denkbar, den Charakter und die Verbrechen des Regimes zu verabscheuen, ja zu bekämpfen, und ihm dennoch zur Verfügung zu stehen? Konnte dies unter bestimmten Bedingungen sogar geboten sein? Oder war es schlechthin nicht zu rechtfertigen? Welchen Preis musste einer bezahlen, der im Amt blieb, also mitwirkte, um auf die Entwicklung in seinem Sinn verändernd einzuwirken oder um wenigstens Schlimmeres zu verhüten? Was konnte es überhaupt heißen, Schlimmeres verhüten zu wollen, da doch das undenkbar Schlimmste geschah?“

Diese Verteidigung des Vaters hat etwas von einem Offenbarungseid: „In seinem ganzen Weltbild fehlte es an der Vorstellung, die Dämonie des Bösen zu begreifen, wie sie bereits am Werke war.“ Aber woher diese Schwäche bei einem Mann, der dank Intelligenz und Erfahrung Repräsentant einer Elite war, sich auch durchaus so empfand? Ist es sein Weltbild, das fest im Kaiserreich verankert blieb, kaum verändert gegenüber dem Vater, der Ministerpräsident des Königsreichs Württemberg gewesen war? Oder ist es der Hochmut des diplomatischen Milieus? Es ließ ihn vielleicht glauben, mit raffinierten Schachzügen zur gleichen Zeit dem Dritten Reich und dem Widerstand gegen dessen Ziele dienen zu können – eine Politik, die der Historiker Rainer Blasius auf den widersprüchlichen Begriff gebracht hat: „Für Großdeutschland – gegen den großen Krieg?“

Natürlich sind Überlegungen dieser Art auch in die Rede vom 8. Mai 1985 eingegangen. Weizsäcker hat sie denn auch die „politischste und zugleich persönlichste“ seiner Ansprachen genannt. Aber es wird der Rede nicht gerecht, wenn sie in erster Linie als quasi-innerfamiliäre Auseinandersetzung gesehen wird – zu den hämischsten Vorwürfen von rechtsextremer Seite gehörte damals der Vorwurf, dass Weizsäcker „mehr seinen Vater bewältigt als sein Vaterland“. In der Rede steckt sicher auch eine Bilanz des eigenen Lebens. Aber ihr Rang und ihre Wirkung bestehen darin, dass Weizsäcker das persönliche Erleben nutzt, um die Dilemmata und Traumen vieler, vielleicht der meisten Deutschen zur Sprache zu bringen. Er hat vor den Deutschen eine für alle beispielhafte Anstrengung unternommen, mit ihrer Geschichte und mit sich selbst ins Reine zu kommen.

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