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Politik: Nationalstolz: Ein Blick ins Ausland: Adieu, Monsieur Chauvin

"In einer gesunden Nation", schrieb der Ire George Bernard Shaw, "wird vom Nationalgefühl so wenig gesprochen, wie ein gesunder Mensch von seinen Knochen spricht."An diesem Kriterium gemessen, sind die Franzosen eine ziemlich gesunde Nation.

"In einer gesunden Nation", schrieb der Ire George Bernard Shaw, "wird vom Nationalgefühl so wenig gesprochen, wie ein gesunder Mensch von seinen Knochen spricht."

An diesem Kriterium gemessen, sind die Franzosen eine ziemlich gesunde Nation. Wenn sie das Wort "national" in den Mund nehmen, meinen sie damit nichts, worauf man besonders stolz sein könnte, sondern staatliche Einrichtungen: Die Routes nationales sind, was bei uns die Bundesstraßen sind; die Banque Nationale ist das Gegenstück zur Bundesbank. So harmlos ging es natürlich nicht immer zu. Im Gegenteil: Seit den Tagen der heiligen Johanna von Orléans, die vor Freunden und Feinden behauptete, wer Krieg gegen Frankreich führe, führe Krieg gegen Gott, waren die Franzosen überall in der Welt berüchtigt für ihren aufdringlichen Nationalstolz.

Zum Thema: Hintergrund: Die Rau-Äußerung TED: Kann man auf die Zugehörigkeit zu einer Nation stolz sein? Nicht zufällig stammt der scher erträgliche Patriot Nicolas Chauvin, der dem Chauvinismus seinen Namen gab, aus dem gleichen Land wie der gallische Hahn, der auf jedem Misthaufen seine eigene Vortrefflichkeit bekräht. Auch der General de Gaulle ging seinen Kriegsalliierten mit seiner "gewissen Idee von Frankreich" stark auf die Nerven.

Ich habe ihn erlebt, wie er auf der Place de la République 350 000 Pariser aufrief, der neuen Verfassung zuzustimmen. Es war eine Szene, wie sie sich kein Dramatiker hätte effektvoller ausdenken können - der alte General auf dem hohen, mit einer riesigen Trikolore bedeckten Podest, die beiden Ausrufungszeichen nach seiner Rede: "Vive la République! Vive la France!", und dann die Marseillaise. Die erste Zeile sang er allein, dann stimmte die Menge ein und erfüllte den Platz mit den martialischen Versen von "blutigen Standarten" und "Sklavenhorden", die man von der heiligen französischen Erde vertreiben werde.

Keinem Franzosen würde es in den Sinn kommen, auf die beiden ersten Strophen der Nationalhymne zu verzichten. Aber es gibt auch keinen, der ihren Text noch ernst nähme. Die Franzosen von heute zucken schmerzlich berührt zusammen, wenn boshafte Ausländer von der "Grande Nation" sprechen: Sie spüren die Ironie und fühlen sich veräppelt. Und es ist ja wahr: Der bombastische Nationalstolz von anno dazumal, wie ihn de Gaulle - aber schon als historisches Zitat - noch einmal heraufbeschwor, lebt heute allenfalls in einigen Nischen fort. Der Gaullismus ist als politische Bewegung nur noch ein Schatten seines früheren Selbst. Damit ist keineswegs gesagt, dass die Franzosen an Minderwertigkeitskomplexen litten.

Zwar sind nicht alle so aggressiv wie der französischeBauer José Bové, der die amerikanische malbouffe, das qualitativ niedere, ungesunde Junk-Food am liebsten mit Brachialgewalt vertreiben würde. Aber auch der Guide Michelin, der sich als streng objektive Instanz versteht, nimmt die Kochkünste von Ausländern nur sehr am Rande zur Kenntnis. Der deutsche Drang, das Urlaubsglück jenseits der Grenzen zu suchen, ist den meisten Franzosen fremd. Sie sind davon überzeugt, dass sie alles, was zu einem angenehmen Leben nötig ist, in ihrem eigenen Lande finden. Und damit haben sie nicht einmal unrecht.

Jörg von Uthmann

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