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Am Versuch, von außen die afghanische Gesellschaft zu modernisieren, scheiterten auch die Nato-Truppen nach 2001.

© REUTERS

Nato-Einsatz in Afghanistan: Die gleichen Fehler

Vor 25 Jahren kündigte Gorbatschow den Abzug der Sowjettruppen aus Afghanistan an – die Parallelen zur Gegenwart sind frappierend.

Von Michael Schmidt

Berlin - Michail Gorbatschow, der sowjetische Ex-Präsident, ist neben vielem anderen das, was der Schriftsteller Hans-Magnus Enzensberger einen Helden des Rückzugs nennt: eine „Figur von Shakespear’schem Format“, einer, der weiß, wann man von der Macht lassen und überhaupt loslassen muss. Das ist es denn auch, was er den heutigen Großen der Weltpolitik rät. Dem US-Präsidenten zum Beispiel. Barack Obama bestärkte er Ende vergangenen Jahres in der Absicht, die US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Der Krieg am Hindukusch sei „nicht zu gewinnen“. Gorbatschow weiß um die Hindernisse, Hürden und Hinterlassenschaften solcher Rückzüge: An diesem Donnerstag ist es 25 Jahre her, dass er in einer Grundsatzrede zur Innen- und Außenpolitik in Wladiwostok einen Teilabzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan ankündigte – der 1989 in den Totalabzug mündete.

Die inzwischen zum Abzug bis 2014 entschlossene Nato, hat der russische Botschafter in Kabul oft genug erklärt, habe sämtliche Fehler wiederholt, die die sowjetische Armee gemacht habe. In der Tat, sagt Conrad Schetter vom Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung, fielen eine Reihe von Ähnlichkeiten ins Auge. Die auffallendste: Beide Interventionen starteten getragen von der Idee, Afghanistan politisch, kulturell und wirtschaftlich modernisieren zu können, und beide sind damit gescheitert. „Der Glaube, die Gesellschaft am Reißbrett ändern zu können, hat sich als Irrglaube erwiesen“, sagt Schetter dem Tagesspiegel. Das hätten die Russen übrigens schneller begriffen.

Damals wie heute sei zunächst nicht erkannt worden, dass selbst eine hochgerüstete High-Tech-Armee gegen Partisanen- und Guerillataktiken wie die der Taliban kaum erfolgreich bestehen könne. Und beide, die Sowjetführung in den 80er Jahren wie die internationalen Truppensteller im 21. Jahrhundert, täten sich schwer mit der Kommunikation der Abzugsabsicht: „Erst wird lange Zeit kein Datum genannt – dann werden plötzlich alle Räder in Gang gesetzt, und man hat den Eindruck, es kann gar nicht schnell genug rausgehen“, sagt der Bonner Afghanistanexperte. Die Gründe lägen auf der Hand. Die Heimgesellschaften seien auf Dauer nicht bereit, derartige Einsätze mitzutragen. Wegen der eigenen Verluste, wegen der vielen getöteten Zivilisten, die die eigenen Truppen in Afghanistan als Besatzer erscheinen ließen – und weil die Afghanistanmission zum Beispiel allein die USA 20 Milliarden Dollar koste, pro Monat. „Dass die finanzielle Last zu groß geworden war, hat nicht unwesentlich zum Zerfall der Sowjetunion beigetragen“, sagt Schetter, „es wird interessant zu sehen sein, wohin das mit den USA noch führt“.

Auch für das Land am Hindukusch sieht Schetter keine rosige Zukunft voraus. Wie die Sowjets hätten die internationalen Truppen am Ende nicht mehr nur eigene Soldaten in den Kampf geschickt, sondern heimische Milizen ausgebildet. Der Effekt sei in beiden Fällen der gleiche: eine militarisierte afghanische Gesellschaft, die nur wenig anderes als Krieg und Kampf kennt. „Das ist die große Gefahr: dass Afghanistan mit einer Bevölkerung, die bis an die Zähne bewaffnet ist, wieder im Bürgerkrieg versinkt.“

Die zentrale Frage sei daher, so Schetters Einschätzung, wie das internationale Engagement nach dem Abzug der Truppen aussehen werde. „Gelingt es, Karsai oder seine Nachfolger so zu unterstützen, dass Stabilität entsteht und sich so etwas wie Staatlichkeit entwickeln kann – oder implodiert das Land, wenn keine Gelder mehr fließen?“ Ohne eine konstruktivere Rolle vor allem Pakistans, aber auch des Irans, seien aber alle Bemühungen um einen dauerhaften Frieden zum Scheitern verurteilt.

Hoffnung knüpft Experte Schetter einzig an die Lernfähigkeit der Afghanen, zumal der zuletzt zumindest in Ansätzen sich entwickelnden Zivilgesellschaft. Deren Vertreter, sagt Schetter, sollten „gelernt haben , dass Besserung nicht von außen zu erwarten ist: Man weiß jetzt, man sollte jetzt wissen, dass sich nur dann alles zum Guten wendet, wenn man es selbst in die Hand nimmt.“

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