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Politik: „Nato muss im Süden Afghanistans leider kämpfen“

Der Generalsekretär des Bündnisses, Scheffer, über die Probleme am Hindukusch und die Aufgaben bei der Energiesicherung

Herr Scheffer, die Lage in Afghanistan gilt als zunehmend schwierig. Teilen Sie diese Sicht?

In Afghanistan hat der Wiederaufbau große Fortschritte gemacht und macht sie weiter. Da spielen die Deutschen eine wichtige Rolle im Norden. Aber leider gibt es im Süden eine Situation, in der auch gekämpft werden muss, um erst einmal die Grundbedingungen zu schaffen, die für einen zivilen Aufbau notwendig sind.

Ist im Süden in den letzten fünf Jahren nicht zu viel nur gekämpft und zu wenig zivil aufgebaut worden?

Auch im Süden gibt es viele Aktivitäten zur Entwicklung der Infrastruktur und zum Wiederaufbau zerstörter Einrichtungen. Ich bin jetzt sechs oder sieben Mal dort gewesen und zwei Mal in den letzten acht, neun Wochen. Ich sehe diese Aktivitäten überall. Aber die Nato muss im Süden leider zugleich kämpfen, weil wir dort angegriffen werden. Trotzdem sage ich auch: Letzten Endes kann die Antwort in Afghanistan keine militärische sein. Die Antwort heißt „Nation-building“ und Entwicklung.

Ist auf diesem Gebiet bisher nicht doch zu wenig getan worden?

Es kann immer mehr getan werden. Aber die Nato kann nicht alle Probleme in Afghanistan allein lösen. Die Nato schafft die Bedingungen dafür, dass Probleme lösbar werden.

Die Bundesregierung hat sich im Vorfeld des Nato-Gipfels in Riga für einen Strategiewechsel eingesetzt, stärker hin zu zivilem Engagement. Können die übrigen Nato-Staaten vom Ansatz der Bundeswehr im Norden lernen?

Ich glaube, wir können alle voneinander lernen. Es müssen nicht alle Wiederaufbauteams gleich sein. Es ist sehr wohl möglich, dass Deutschland Prioritäten setzt, die der Situation im Norden entsprechen. Andererseits können die Schweden, die Spanier, die Italiener und die Holländer dort, wo sie engagiert sind, andere Schwerpunkte setzen als die Deutschen.

Dem Aufruf zu neuen Prioritäten für den Aufbau stimmen Sie aber zu?

Ich bin einverstanden, dass das zivile Element sehr wichtig ist. Aber ich wiederhole, man muss zuerst die Bedingungen für den Wiederaufbau schaffen. Dies geht nicht immer ohne militärische Mittel. Trotzdem hat die Bundesregierung recht. Es ist wichtig, mehr Nachdruck zu legen auf den zivilen Wiederaufbauaspekt. Es ist vor allem wichtig, dass sich andere mehr darum kümmern als bisher.

An wen denken Sie?

Ich sorge als Nato-Generalsekretär dafür, dass Afghanistan sehr prominent auf dem Radarschirm der Nato ist. Ich glaube aber, dass Afghanistan ebenso präsent auf dem Radarschirm der Europäischen Union, der Vereinten Nationen, der G 8 und anderer internationaler Akteure sein muss.

Haben Sie Signale dieser Organisationen, dass dieser Ruf gehört wird?

Ich habe solche Signale, ja. Ich habe sie vom britischen Premierminister Tony Blair, ich haben sie von Ihrer Bundeskanzlerin Angela Merkel. Frau Merkel hat mir bei meinem Besuch in Berlin vorige Woche zugestimmt, dass es wichtig ist, auch mit der EU über Afghanistan zu reden. Die EU leistet jetzt schon wichtige Arbeit in Afghanistan, auch der Beitrag der Vereinten Nationen ist wichtig. Die Koordination vor Ort in Kabul und mit der demokratisch gewählten Regierung Karsai funktioniert. Wichtig ist jetzt, dass das Thema Afghanistan auch auf der höchsten politischen Ebene stärker ins Bewusstsein tritt. Denn wenn wir uns nicht verstärkt in Afghanistan einsetzen, dann kommt Afghanistan zu uns. Dann wird es wieder ein Exporteur des Terrors. Die Folgen werden spürbar sein in Amsterdam oder Berlin oder London oder New York.

Brauchen wir dann nicht idealerweise ein neues Gremium zur Koordination?

Nein, neue und komplizierte Strukturen sind keine Lösung. Ich glaube auch nicht, um Missverständnisse zu vermeiden, dass wir alle Aufgaben bei der Nato bündeln müssten. Die Nato ist nicht kompetent für Entwicklungshilfe. Wir sollten aber dafür sorgen, dass alle diese Aufgaben der Stabilisierung und des Wiederaufbaus auf höchster politischer Ebene koordiniert werden. Das müssen ja nicht immer gleich die Staats- und Regierungschefs sein. Aber es müsste schon gelingen, dass sich alle Beteiligten regelmäßig zusammensetzen.

Welche konkrete Rolle sollen denn Organisationen wie die EU oder die G 8 dabei spielen?

Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Der Drogenhandel ist eins der größten Probleme in Afghanistan. Haben wir eine richtige, wirkliche, international koordinierte Anti-Drogen-Strategie? Ich glaube nicht. Obwohl unsere britischen Freunde zusammen mit den Afghanen eine ganze Menge tun. Die Nato kann das Drogenproblem aber nicht lösen. Zuständig dafür sind die afghanischen nationalen Behörden. Drogenbekämpfung ist außerdem nicht damit erledigt, dass man die Mohnfelder niederbrennt. Dann fragt der Bauer, wie kann ich meine Familie jetzt ernähren? Da bin ich wieder zurück beim Thema Entwicklung.

Wieso fällt das der Nato erst jetzt auf?

Auch für die Nato gilt „learning by doing“. Wir lernen jeden Tag in Afghanistan etwas dazu. Im heutigen Zeitalter der globalen Bedrohungen heißt Außenpolitik eine Kombination von Sicherheitspolitik, Wirtschaftspolitik, Entwicklungshilfe und anderen Elementen. Die Nato spielt ihre Rolle, und das hat seinen Preis. Viele Mitgliedstaaten haben Opfer zu beklagen. Aber wir brauchen eine stärkere internationale Koordination.

Manche sagen, Afghanistan ist für die Nato die Bewährungsprobe. Wenn dieser Einsatz scheitere, sei das Bündnis tot.

Ich wäre da etwas vorsichtig. Ich bin jetzt seit 25, 30 Jahren mit Außen- und Sicherheitspolitik beschäftigt. Ich habe schon so oft gehört, dass die Nato im Sterben liegt! Ich glaube das aber nicht. Für eine Totgesagte ist die Nato ziemlich aktiv, finde ich. Aber natürlich ist es für die Zukunft der Nato sehr, sehr wichtig, dass wir in Afghanistan auf Dauer Fortschritte machen. Es ist unsere wichtigste Operation.

Gefährden die makabren Fotos, die deutsche Soldaten mit Totenschädeln gemacht haben, den Einsatz insgesamt?

Nein. Aber dieses Fehlverhalten ist natürlich inakzeptabel und negativ für das Image der Bundeswehr.

Ein weiteres Thema des Nato-Gipfels von Riga, auch ein wichtiges Thema aus Sicht der Bundesregierung soll die Energiesicherheit sein. Was kann die Nato dazu überhaupt beitragen?

Wir sind erst am Anfang der Debatte. Aber die Nato ist ein politisch-militärisches Bündnis. Energiesicherheit, der freie Zugang zu Energie und die Sicherheit der Transportwege sind Teil des strategischen Konzepts der Nato. Die Frage an die Nato lautet jetzt: Welchen Mehrwert kann sie erbringen über das hinaus, was die EU, die G 8, andere Organisationen leisten? Ich kann mir vorstellen, dass die Nato mit ihren Seestreitkräften eine Rolle spielen könnte bei der Sicherung der Seewege für Öl- und Energietransporte. Wir diskutieren auch über den Schutz kritischer Infrastruktur im Energiebereich gegen terroristische Bedrohungen. Das ist natürlich eine nationale Aufgabe. Holland ist zum Beispiel verantwortlich für Rotterdam. Aber die Nato könnte unter Umständen Mehrwert bieten, zum Beispiel im technischen Bereich oder durch Informationsaustausch.

Sie kommen gerade aus Moskau – was sagt Russland als wichtiger Energielieferant dazu, wenn das Militärbündnis Nato Energiesicherheit zu seinem Ziel erklärt?

Die Nato ist nicht zuständig für Energiepolitik. Es geht um einen Beitrag, mehr nicht. Ein solcher Beitrag liegt auch in einer seriösen Partnerschaft mit unseren russischen Freunden. Russland wirkt heute schon mit an der Nato-Operation „Active Endeavour“ zur Sicherung der Seewege im Mittelmeer gegen Terrorismus. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Partner der Nato sich an solchen See-Operationen auch künftig beteiligen.

In Deutschland wird, wie das gerade veröffentlichte Weißbuch zeigt, stark darüber gestritten, ob die Sicherung kritischer Infrastruktur eine Militär- oder eine Polizeiaufgabe ist. Belastet dieser Dissens die Debatten in der Nato?

Ich werde mich als Nato-Generalsekretär nicht in interne deutsche Debatten einmischen. Ich halte es aber für sehr wichtig, dass es jetzt seit 1994 erstmals wieder ein Weißbuch gibt. Was auch immer Regierung und Bundestag im Weißbuch beschließen, das ist bedeutsam für die Nato. Deutschland ist unser zweitgrößter Truppensteller. Die Zukunft der Bundeswehr ist wichtig für die Nato.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Ingrid Müller.

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