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Nato: Rüstiger Senior mit Identitätskrise

Vor dem Treffen zum 60. Jubiläum der Nato fragt eine internationale Konferenz nach der Rolle der Allianz in einer veränderten Welt.

Von Michael Schmidt

Berlin - Die Nato wird 60. Ob aber der Jubiläumsgipfel der nordatlantischen Allianz Anfang April als rauschendes Fest zelebriert wird, ist mindestens fraglich. Das Bündnis befindet sich in einer handfesten Identitätskrise. Gegründet als militärische Verteidigungsorganisation in einer zweigeteilten Welt, um sich als Westen kollektiv gegen Bedrohungen aus dem Osten zu schützen, weiß die Nato nicht, wohin mit sich im 21. Jahrhundert: Wozu braucht’s, 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, diese Allianz noch?

Die Welt hat sich grundlegend verändert. Sie ist unübersichtlicher geworden. Die Zahl global bedeutsamer Akteure hat sich vervielfacht. Die Bedrohungen sind heute ganz anderer Natur. Und die Nato ist ein Bündnis auf Sinnsuche. Oder, wie Jürgen Trittin, Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahl, es auf einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung am Wochenende im Jargon einer Kleinanzeige formulierte: „Rüstiger Rentner, 60, sucht Altersteilzeitbeschäftigung“.

In der Zeit der Blockkonfrontation hat die Nato über 40 Jahre nicht einen einzigen Tag gekämpft. Heute ist sie in fünf Missionen gleichzeitig tätig und hat mehr zu tun als je zuvor. Dennoch sieht sich das Bündnis mit der Frage konfrontiert, ob es ein Auslaufmodell oder eine unverzichtbare Allianz sei. Unter dieser Leitfrage befeuerten die Teilnehmer der internationalen Konferenz der Böll-Stiftung die anstehende Diskussion über eine neue Nato-Strategie mit ihren Ideen. Wie können Frieden und Sicherheit in einer multipolar gewordenen Welt hergestellt werden? Welche Rolle kann eine Organisation wie die Nato dabei spielen?

Das aktuelle strategische Nato-Konzept stammt aus dem Jahr 1999, eine Anpassung an die Herausforderungen der Gegenwart ist überfällig. Die sind mit den Stichworten Klimawandel, Migration, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen bezeichnet, atomares Wettrüsten, Ressourcenknappheit, Armut, Cyberterrorismus, Energiesicherheit, Staatszerfall und asymmetrische Konflikte.

Innerhalb der Nato ist dabei weitgehend unstrittig, dass die Allianz nicht die Lösung für diese Probleme sein kann und sein will. Das Bewusstsein ist weit verbreitet, dass diesen Herausforderungen mit militärischen Mitteln allein nicht zu begegnen ist. In erster Linie werde es in Zukunft vielmehr darum gehen, wie Daniel Hamilton von der John-Hopkins-Universität mehrfach unterstrich, zivile Organisationen wie die Europäische Union, die Vereinten Nationen und das transatlantische Verhältnis EU-USA insgesamt zu stärken. Aber, so Hamilton, „die Nato kann eine unterstützende Rolle spielen“ – vor allem, wenn sie diese Organsisationen als Partner gewinnt. Das Militärische sei durch die neuen Herausforderungen nicht überflüssig geworden. Im Gegenteil. Beispiel Afghanistan: Ohne militärisch geschaffene und abgesicherte Stabilität könne es hier keinen zivilen Wiederaufbau geben. Die Nato als globaler Dienstleister in Sachen Sicherheit? Zur Krisenintervention, möglichst mit UN-Mandat, um das Völkerrecht durchzusetzen, Staatszerfall zu verhindern und Stabilität zu schaffen? Ja, das könnte, wie Jamie Shea, Direktor im politischen Planungsstab des Nato-Generalsekretärs in Brüssel sagte, von Fall zu Fall, auch in Zukunft ein Betätigungsfeld der Nato sein.

Neue Bedeutung könnte die Nato zudem als die praktisch einzige institutionelle Klammer im transatlantischen Verhältnis bekommen: „Wenn wir uns einig sind, können wir den Kern globaler Koalitionen bilden, wenn wir uns nicht einig sind, gibt es keine globalen Koalitionen“, nicht im Kampf gegen den Klimawandel, nicht in der Sorge um Energiesicherheit, nicht bei der Eindämmung des Terrorismus, stellte Hamilton fest. Mit dem neuen US-Präsidenten Barack Obama biete sich zudem die Möglichkeit, die Nato in ihrer politischen Funktion als Forum für transatlantische Sicherheitsdebatten wiederzubeleben. Mit Obama, so die allgemeine Erwartung, werde es leichter über unterschiedliche Interessen zu diskutieren statt ideologische Debatten über gute und böse Europäer führen zu müssen.

Eine Frage, die sich mit Dringlichkeit stellt, aber einer Antwort harrt und nach Erwartung der Konferenzteilnehmer weiter harren wird, ist die nach dem Verhältnis zu Russland. Bleibt die Nato, was sie war: ein Westbündnis zur Eindämmung Russlands? Oder kann sie sich im Sinne eines Vorschlags des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew zu einer eurotransatlantischen Sicherheitsallianz weiterentwickeln, die von Vancouver bis Wladiwostok reicht? Grünen-Politiker Trittin machte sich für einen Nato-Beitritt Russlands stark – gab aber zu, dass es sich angesichts der handelnden Akteure und der politischen und rechtsstaatlichen Situation im derzeitigen Russland wohl eher „um ein Mehrgenerationen-Projekt“ handle.

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