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Politik: Nein zur Verfassung und zum Premier

Während Frankreich über das Vertragswerk abstimmt, rechnet Paris mit einem neuen Regierungschef

Für die Befürworter war der Referendums-Endspurt hart. Während am Samstag schon die ersten Wähler in den französischen Überseegebieten über die EU- Verfassung abstimmten, wirkten selbst die engagiertesten Verfassungsfreunde zunehmend mutlos. Trotz maximalen Einsatzes bei zahlreichen Großveranstaltungen, bei denen auch Bundeskanzler Gerhard Schröder in Toulouse für eine Zustimmung zur Verfassung warb, machte sich im Lager der Ja-Sager allmählich Resignation breit. Mehrere Umfrageinstitute prognostizierten nahezu einheitlich die Ablehnung des Papiers durch 53 bis 55 Prozent der Wähler.

Der Großteil der Franzosen ist am heutigen Sonntag zum Referendum aufgerufen. Insgesamt sind 42 Millionen Franzosen wahlberechtigt. Gewählt werden kann bis 20 Uhr, in Paris und Lyon sogar bis 22 Uhr.

Lediglich der „Vater“ des komplizierten Verfassungswerkes, Frankreichs Ex- Präsident Valéry Giscard d’Estaing, äußerte sich weiterhin optimistisch. „Ich glaube an den gesunden Menschenverstand der Franzosen“, sagte er. Trotz der Zuversicht, die Giscard d’Estaing an den Tag legte, schmolz die Hoffnung der französischen Führung fast stündlich dahin, wonach der auf rund 20 Prozent geschätzte Anteil der Unentschiedenen im letzten Augenblick doch noch die Wende zum „Ja“ bringen könnte. So war es nicht verwunderlich, dass bereits am Vorabend der mit Hochspannung erwarteten Volksabstimmung eine Debatte über die unterschiedlichen Szenarien nach einem französischen „Nein“ begann. Zur besten Sendezeit hatte Staatspräsident Jacques Chirac seinen Landsleuten kurz vor dem Abschluss der Kampagne noch einmal ins Gewissen geredet und vor allem vor den katastrophalen Folgen eines „Non“ für ganz Europa gewarnt. „Ein Nein würde eine Phase des Auseinanderbrechens der EU, der Zweifel und der Ungewissheiten bedeuten“, erklärte Chirac und machte gleichzeitig deutlich, dass das Referendum keine Abstimmung über die französische Regierung sein dürfe. Grund für diese Mahnung: Ein nicht unerheblicher Anteil der Verfassungsgegner hatte immer wieder betont, ihr „Nein“ sei als Signal ihrer Unzufriedenheit mit der unpopulären Regierung von Premierminister Jean-Pierre Raffarin zu verstehen. Auch für die Nein-Sager um den früheren sozialistischen Premierminister Laurent Fabius, die den Vertrag neu verhandeln und nachbessern lassen wollen, hatte Chirac ein klare Antwort parat: „Es ist eine Illusion zu glauben, Europa könnte mir nichts, dir nichts auf ein anderes Projekt umsteigen, denn es gibt kein anderes.“

Unterdessen brachen in Chiracs Elysée-Palast hektische Aktivitäten aus. Nicht ohne Hintergedanken an seine eigene Zukunft hatte Chirac den Franzosen „neue Impulse für das Land“ unmittelbar nach dem Referendum versprochen. Beobachter gehen davon aus, dass schon kommende Woche ein Regierungswechsel in Paris stattfindet. Der glücklose Regierungschef Jean-Pierre Raffarin werde wahrscheinlich zurücktreten, so lauten die Gerüchte, und durch den jetzigen Innenminister Dominique de Villepin oder den früheren Superminister und UMP- Parteivorsitzenden Nicolas Sarkozy ersetzt.

Sabine Heimgärtner[Paris]

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