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Neslon Mandela

© AFP

Nelson Mandela: Der große Versöhner

Südafrikas erster schwarzer Präsident Nelson Mandela feiert an diesem Freitag seinen 90. Geburtstag. Weltweit ist er geachtet wegen seiner menschlichen Größe, seiner Bescheidenheit und dem Respekt, den er anderen entgegen bringt. Südafrika ist stolz auf Mandela - und doch ist die Stimmung am Kap gedrückt.

Jean du Plessis wird den 12. September 1995 nie vergessen – den Tag, an dem der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl zu seinem ersten und einzigen Staatsbesuch ans Kap der guten Hoffnung kam. Ein Jahr zuvor, im April 1994, war Nelson Mandela zum ersten schwarzen Staatspräsidenten des einstigen Apartheidstaates gewählt worden. Nun reiste die ganze Welt an die Südspitze Afrikas, um dem Freiheitskämpfer ihre Aufwartung zu machen.

Als die beiden Staatsmänner an diesem Tag von einem kurzem Gang durch den Garten in Mandelas Amtssitz zurückkehrten, erkannte Du Plessis seine Chance: Ohne zu fackeln, platzierte er sich direkt vor den beiden Politikern und schoss im Rückwärtsgang eine Reihe von Fotos. „In der Hitze des Gefechts vergaß ich völlig den Springbrunnen“, erinnert sich Du Plessis. „Ehe ich mich versah, war ich auch schon gegen seine Umrandung gestoßen – und kopfüber in den kleinen Teich gestürzt.“ Während Helmut Kohl rasch abdrehte, eilte Mandela dem Pechvogel zu Hilfe. „Noch Jahre später“, schmunzelt Du Plessis, „stellte er mich Besuchern als seinen privaten Poolfotografen vor“. Auch bei Staatsbesuchen erhielt Du Plessis auf Anweisung Mandelas fortan einen Platz in der ersten Reihe.

Symbol für Frieden und Versöhnung

Es gibt Dutzende solcher Anekdoten über Südafrikas großen Versöhner, der an diesem Freitag seinen 90. Geburtstag zelebriert. Über seinen außergewöhnlichen Sinn für Humor, über seine Demut, vor allem aber seinen Respekt für die einfachen Menschen. Kaum etwas dürfte das Wesen Mandelas jedoch besser beschreiben als die Szene an einem klaren Wintertag im Juli 1995 in Orania, einer kleinen Siedlung am Oranjefluss, die burische Fundamentalisten zur Keimzelle eines eigenen „Volksstaates“ erklärt haben. Betsy Verwoerd, die damals 94-jährige und inzwischen verstorbene Witwe von Hendrik Verwoerd, dem Architekten der Apartheid, müht sich verzweifelt, eine handgeschriebene Erklärung zu verlesen. Vergebens kramt sie nach ihrer Brille. Mandela, damals Präsident des Landes, beugt sich zu ihr herunter und souffliert ihr leise in Afrikaans: „Möge der Präsident die Einrichtung eines Volksstaates mit Wohlwollen erwägen. Möge er über die Zukunft der Buren mit Weisheit entscheiden …“

Vermutlich liegt genau in dieser menschlichen Größe das Geheimnis von Mandelas Charisma – und der Schlüssel dazu, warum er über alle Grenzen hinweg, bei Jung und Alt, Schwarz und Weiß, in Südafrika wie im Ausland zum weithin bewunderten Zeitgenossen und in vieler Hinsicht zum Symbol für Frieden und Versöhnung geworden ist.

Der Schlüssel zu Mandelas Popularität liegt in seiner Kindheit

Wer nur seine Vita liest, wird Mandela nie verstehen. Nirgends findet sich darin ein Anhaltspunkt, dass ausgerechnet dieser Hüne und Hobbyboxer eines Tages zu einer Ausnahmegestalt des 20. Jahrhunderts werden sollte. Als Anwalt war er keine Größe. Als Chef der Befreiungsarmee des Afrikanischen Nationalkongress (ANC) tendierte seine Wirkung gegen null. Als Redner ist er hölzern. Selbst als Denker hat er wenig Originelles produziert, auch wenn seine Autobiografie weltweit zum Bestseller wurde.

Um Mandelas Popularität wirklich zu verstehen, muss man tiefer schürfen – und einen Blick auf seine Kindheit in seinem Heimatdorf Qunu im Ostkap werfen, wo er am Sonnabend im Kreis der Bewohner auch sein eigentliches Geburtstagsfest feiern wird. Die Hügel, auf denen der junge Nelson hier einst die Rinder hütete, sind heute kahl gefressen und tief erodiert. Wäre Mandela ein traditionsbewusster junger Mann gewesen, dann wäre er genau wie sein Vater ein Häuptling der hier ansässigen Tembu geworden. Stattdessen rebellierte er gegen die alten Stammessitten, eine arrangierte Heirat – und schließlich auch das Apartheidsystem der weißen Machthaber.

Der Traum ist zerbrechlich geworden

Mandela war gerade zehn, als sein Vater starb und er aus der Missionsschule von Qunu in den königlichen Sitz der Tembu kam, wo ihn sein Onkel, Häuptling Jongtintaba, unter seine Fittiche nahm. Von dort wechselte Mandela mit 19 auf das schwarze Elite-College Healdtown, eine Art afrikanischem Oxford. Bis heute ist Mandela im Herzen ein viktorianischer Gentleman geblieben. Vielleicht sind es gerade seine etwas altmodische Art und die tadellosen Manieren, die ihm die Bewunderung der Welt verschaffen: Etwa die Bescheidenheit, sich als bloße Galionsfigur zu sehen und deshalb auch, ganz anders als Simbabwes Diktator Robert Mugabe, nie der Versuchung der Macht zu erliegen. Oder die fast übermenschliche Größe, nach 27 Jahren Haft keinen Gedanken an Bitterkeit und Revanchismus zu verschwenden.

Inzwischen ist Mandelas Gang gebrechlich geworden, fast immer muss er sich auf den Arm seiner Frau Graca stützen, der Witwe des mosambikanischen Staatspräsidenten, die er vor zehn Jahren an seinem 80. Geburtstag heiratete. Vielleicht zum letzten Mal ehrt Südafrika ihn nun – nicht mit einer großen Party wie zuletzt in London, sondern mit einer zum Geburtstag in Umlauf gebrachten neuen Fünf-Rand-Münze und zwei Briefmarken. Doch irgendwie ist die Stimmung bei allen Lobpreisungen gedrückt. Die Pogrome schwarzer Südafrikaner an schwarzen Zuwanderern haben viele am Kap schockiert – und gezeigt, wie zerbrechlich Mandelas Traum heute ist.

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