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Die Feuerwache Berlin-Mitte gedenkt der Opfer.

© Christian Mang/imagedeluxe.net

Neonazi-Terror: Berlin gedenkt der Opfer

Ganz Deutschland hielt am Donnerstag für eine Minute inne. In Berlin beteiligten sich viele Unternehmen und Schulen, Busse und Bahnen stoppten.

Ganz Deutschland gedachte am Donnerstag der Opfer der Thüringer Terror-Gruppe. In Berlin war die Beteiligung besonders hoch, viele Unternehmen, der öffentliche Nahverkehr und Schulen hielten um zwölf Uhr inne.

In der S-Bahn

Es ist drei Minuten vor zwölf am S-Bahnhof Friedrichstraße. Zahlreiche Menschen warten auf das Eintreffen der S 5 nach Strausberg. Ein Kamerateam der ARD hat sich bereits postiert. Die Bahn trifft ein, Leute steigen ein und aus. Spanisch sprechende Jugendliche verlassen fröhlich schwatzend den Zug. Um zehn Sekunden vor zwölf kommt eine Durchsage mit dem Hinweis, dass sich die Bahn an der nationalen Schweigeminute beteiligt. Die Lehrerin der Schülergruppe ermahnt die Jugendlichen, ruhig zu sein. Die S 5 steht still, die Türen bleiben geöffnet.

Es wird leiser auf dem Bahnhof. Das Rumpeln der Rolltreppen ist deutlicher als sonst zu vernehmen. An der Anzeigetafel steht in großen Lettern „Schweigeminute“. Die Jugendlichen platzieren sich vor dem Kamerateam und können ein vereinzeltes Kichern nicht unterdrücken. In der S-Bahn sind die Fahrgäste zumeist still. Die Blicke sind jedoch eher gleichgültig als andächtig. Man sitzt die Minute aus. Eine junge Frau hält bereits wieder ihr Handy ans Ohr. Und dann ist es auch schon wieder vorüber. Ein kurzes „Vielen Dank“ hallt aus den Lautsprechern, die Fahrt wird fortgesetzt. sis

Vor dem Rathaus

Die Fahne auf dem Berliner Rathaus weht auf Halbmast. Etwa 50 Mitarbeiter treten kurz vor zwölf aus dem Rathaus und versammeln sich vor der Hauptpforte. Sie sind eingeengt zwischen Bauzäunen und damit ziemlich abseits der Öffentlichkeit. „Das sieht ja niemand hier“, sagt eine Mitarbeiterin der Kulturverwaltung, die extra aus der Brunnenstraße in Mitte gekommen ist. Man müsse die Leute mit dieser Aktion doch erreichen, und das ginge nur mit Öffentlichkeit.

Der Baustellenlärm tut sein Übriges. Es klingt, als stoppen immerhin einige der Bagger und Presslufthämmer beim Glockenschlag um zwölf Uhr, doch ruhig ist es trotzdem nicht. „Hat uns niemand was gesagt“, sagt ein Bauarbeiter. Touristen laufen ohne große Beachtung an der Szenerie vorbei. Auch Wowereit ist dabei, rechtzeitig nach der zentralen Gedenkfeier. Er registriere „eine große Anteilnahme, das ist ein gutes Zeichen“. Eine 28-jährige Rathausmitarbeiterin sagt, sie habe „selber ausländische Wurzeln“ und finde die Aktion sehr gut.

Man müsse „solche Vorkommnisse ernst nehmen“. Es sei „wichtig für Deutschland, ein Zeichen gegen Rechts zu setzen“, sagt Thomas Pretorius und erinnert an die „erschreckenden Berichte in den Medien“. Kurz nach zwölf Uhr verschwinden die Mitarbeiter an die Schreibtische. Übrig bleibt nur der Baustellenkrach. spa

Am Potsdamer Platz

Am Potsdamer Platz nehmen nur wenige an der Gedenkminute teil. Vor dem Bahntower versammeln sich einige Mitarbeiter. Auch ein Geschäftsmann nutzt die Wartezeit auf einen Geschäftspartner, um mit verschränkten Armen an die Opfer zu denken.

Ein Bus der Berlin-Touristik hält ebenfalls. Viele Touristen und Jugendliche aber laufen normal weiter, die meisten sagen, dass sie nichts von der Schweigeminute wussten. tabu

In der Schule

An der Sophie-Scholl-Oberschule in Schöneberg ertönt um zwölf Uhr ein Gong. Der Unterricht wird unterbrochen, die Türen der Klassenräume für die Gedenkminute geöffnet, Stille kehrt ein. Nach der Minute ertönt wieder der Gong, und der Unterricht geht weiter. Genauso wird es auch an vielen anderen Berliner Schulen gehandhabt. Die Schüler finden die Gedenkminute richtig.

„Es ist gut, wenn man in sich geht und sich fragt, warum unser Volk das getan hat“, sagt eine Schülerin mit dunkler Hautfarbe und meint die Naziverbrechen von 1933 bis 1945. Interessant ist, wie selbstverständlich sie „unser Volk“ sagt. Auch die Neonazi-Taten der jüngeren Vergangenheit, um die es bei der Schweigeminute eigentlich geht, werden von den Schülern einhellig verurteilt. „Es ist wichtig, dass man sich einmal in die Lage der Familie hineinversetzt, der das zugestoßen ist“, sagt eine Neuntklässlerin. Dafür habe sie die Gedenkminute genutzt. fk

Bei Dussmann

„Das ist ein Unding, was sich der Bundesnachrichtendienst da geleistet hat, und das bleibt wahrscheinlich auch unbestraft“, sagt eine Kundin im Kulturkaufhaus Dussmann. Sie nehme gerne an der Schweigeminute teil. Eine andere Kundin sagt hingegen: „Ich schweige nicht.“ Sie begründet: „Ich habe etwas Wichtigeres zu tun.“

Bei Dussmann wird die Minute durch eine Ansage eingeleitet, woraufhin fast die gesamte Kundschaft innehält. Einige schauen sich um, als wüssten sie nicht, was gerade vor sich geht. Hinter den Kassen schweigen die Verkäufer ebenfalls und rechnen für eine Minute nicht ab.

Ein junger Mann kommt herein und versucht, mit der Frau am Empfang zu reden. Diese steht hinter dem Empfangstresen und versucht vergeblich, ihm durch Gesten verständlich zu machen, dass gerade bundesweite Schweigeminute ist.

Nach einer Minute bedankt sich das Kaufhaus mit einer Ansage bei seinen Kunden und der gewöhnliche Betrieb geht weiter. Auch viele andere Berliner Unternehmen schließen sich der Schweigeminute an, darunter die Stadtreinigung, Siemens, Vattenfall, Vivantes und Mercedes Friedrichsfelde. cm

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