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Oberweißbach in Thüringen. Der Heimatort der getöteten Polizistin Michèle Kiesewetter könnte eine Schlüsselrolle in dem Kriminalfall spielen.

© dapd

Neonazi-Terror: Spur des Polizistenmords führt nach Thüringen

Der Mord an der Polizistin Michèle K. 2007 in Heilbronn war wohl kein Zufall. Immer neue Details über mögliche Berührungspunkte zwischen der aus dem thüringischen Oberweißbach stammenden Frau und der Neonazi-Zelle werden bekannt.

Von Frank Jansen

Die Dienstwaffe der Polizistin Michèle Kiesewetter, die von Mitgliedern der Jenaer Terrorzelle im April 2007 in Heilbronn erschossen worden war, führte letztlich zu den Tätern: Auch sie war ein Opfer der Neonazi-Zelle. Und bei diesem Verbrechen, das sich zunächst so gar nicht dem Motivschema der Täter zuordnen ließ, scheinen sich nun einzelne Puzzleteile nach und nach zu einem Gesamtbild zu ordnen. So könnte der Heimatort der Polizistin, das thüringische Oberweißbach, eine Schlüsselrolle in einem möglichen Beziehungsgeflecht zwischen Opfer und Tätern spielen.

Welche neuen Erkenntnisse gibt es über mögliche Kontakte zwischen Opfer und Tätern?

Oberweißbach ist klein, weniger als 2000 Menschen leben in dem Städtchen im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Diese Enge, dieses Jeder-kennt-jeden, könnte Michèle Kiesewetter zum Verhängnis geworden sein – weil es in Oberweißbach auch einen unvermeidlichen Kontakt zur rechten Szene bedeutete. Bevor Kiesewetter nach Heilbronn zog, hatte sie von 2001 bis 2003 im Ortsteil Lichtenhain-Bergbahn nahe dem „Gasthof zur Bergbahn“ gewohnt, einem Treffpunkt für Neonazis und Rocker. In dem Lokal wurden Partys und Konzerte veranstaltet. Da Kiesewetter auch von Heilbronn aus mit ihrer Familie in Oberweißbach in Kontakt blieb und regelmäßig zu Besuch kam, wird ihr vermutlich nicht entgangen sein, dass sich im März 2006 in dem Lokal 150 Neonazis versammelt hatten, um dem Liedermacher Frank Rennicke zuzuhören, einer Kultfigur der rechten Szene.

Kiesewetters Familie ärgerte sich aber offenbar nicht nur über die rechtsextremen Umtriebe in der Gaststätte. Der Stiefvater der Polizistin, Betreiber eines Hotels im Landkreis, hatte das Lokal pachten wollen. Doch er ging leer aus. Eine der führenden Figuren der rechten Szene in Thüringen konnte, offenbar über seinen Schwager, den „Gasthof zur Bergbahn“ nutzen: Ralf W., einst wie die späteren Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in der Neonazi-Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“ aktiv und von 2002 bis 2008 Jahre Vizechef der Thüringer NPD – und heute einer der Verdächtigen im Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft zu den Morden und weiteren Gewalttaten der Jenaer Terrorzelle.

Ralf W. gilt als mutmaßlicher Unterstützer der drei Neonazis. Sollte sich der Verdacht bestätigen, könnte die Figur Ralf W. eine Bedeutung über den Kriminalfall hinaus erlangen. Der NPD-Mann würde eine direkte Verbindung zwischen dem rechtsextremen Terrorismus und der rechtsextremen Partei verkörpern. Das wäre, sagen Sicherheitskreise, ein gravierendes Argument für die Befürworter eines zweiten Verbotsverfahrens gegen die NPD.

Warum haben die Ermittler nach dem Polizistenmord 2007 einen Bezug zur Heimat der Getöteten vernachlässigt?

Für die Polizei in Heilbronn und die dort gebildete „Soko Parkplatz“, die später vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg übernommen wurde, war das kleine Oberweißbach kein großes Thema. Die Beamten hatten sich auf eine ganz andere Theorie konzentriert, die später ins makabre Wattestäbchenfiasko abglitt. Am Streifenwagen, in dem Kiesewetter bei den tödlichen Schüssen im April 2007 gesessen hatte, entdeckten die Ermittler die DNA-Spur einer Frau. Auch nach weiteren Verbrechen wurde das Genmaterial gefunden. Doch dann stellte sich 2009 heraus: die Wattestäbchen, mit denen die Polizei die DNA-Spuren gesichert hatte, waren verunreinigt. Die Theorie war hinfällig. Aber auch danach haben die Ermittler im Fall Kiesewetter offenkundig keine Anhaltspunkte für eine Spur nach Thüringen gesehen.

Was könnte das Tatmotiv bei dem Mord an der Polizistin gewesen sein?

Sicherheitsexperten vermuten, die beiden Männer der Jenaer Terrorzelle, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, hätten Michèle Kiesewetter gezielt erschossen. Der mögliche Grund: Die Neonazis könnten befürchtet haben, dass Kiesewetter in oder aus Oberweißbach etwas über die untergetauchte Gruppe erfahren hatte und dieses Wissen ihren Kollegen bei der Polizei mitteilen würde. Jedenfalls betrieben die Neonazis einen beträchtlichen Aufwand, um die Polizistin aus dem Weg zu räumen. Mundlos und Böhnhardt, vielleicht auch Zschäpe, fuhren nach Heilbronn, wie bei früheren Taten mit einem gemieteten Wohnmobil, vermutlich von Zwickau aus. Sicherheitskreise halten es für wahrscheinlich, dass die Neonazis mit einem Funkscanner ausgerüstet waren, mit dem sie die Kommunikation der Polizei abhören konnten. Einen solchen Scanner und eine Liste, auf der die Funkkanäle der Polizei verzeichnet waren, hatten Mundlos und Böhnhardt bei ihrer letzten Tat, dem Banküberfall in Eisenach am 4. November 2011, dabei.

Seite 2: Welche Rolle könnte Beate Zschäpe in diesem Fall gespielt haben?

Über den abgehörten Polizeifunk könnten die Terroristen erfahren haben, wohin Michèle Kiesewetter und ihr Kollege Martin A. am 25. April 2007 in Heilbronn fuhren. Als das Fahrzeug auf den Parkplatz „Theresienwiese“ hielt, kamen kurz darauf Mundlos und Böhnhardt und schossen beiden Polizisten in den Kopf. Kiesewetter war sofort tot, ihr Kollege konnte nur mit einer Notoperation gerettet werden. Martin A. kann sich jedoch bis heute nicht an die Tat erinnern.

Es gibt Hinweise dafür, dass sich zumindest einer der untergetauchten Täter häufiger in Oberweißbach aufgehalten hat. Wie konnte er dabei unentdeckt bleiben?

Die Ermittler prüfen, ob Uwe Mundlos im Jahr 2005 in Oberweißbach war. Wenn ja, könnte das bedeuten, dass er Unterstützung im „Gasthof zur Bergbahn“ erhielt und sich dort mit Rechtsextremisten wie Ralf W. traf. Bislang ist das nur eine Annahme. Aber sie könnte ein wichtiger Hinweis auf das Motiv zum Mord an Kiesewetter sein. Wenn Mundlos später, vielleicht erst 2007, mitbekommen haben sollte, dass die Polizistin etwas von seinem Aufenthalt in Oberweißbach erfahren hatte, bekäme der Mord an einer lästigen Mitwisserin eine zynische Logik.

Welche Rolle könnte Beate Zschäpe in diesem Fall gespielt haben?

Im Lokal des Stiefvaters war ein Koch beschäftigt, dessen Name ebenfalls Zschäpe lautet. Das könnte Zufall sein, sagen Experten. Oder eine weitere Spur zum Mord an Kiesewetter.

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