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Kamera-Auge, sei wachsam. Fraglich allerdings ist, worauf sich die Blicke des Verfassungsschutzes richten. Zumindest für einige Ämter besteht der Verdacht, dass das rechte Auge nicht genug sah und deshalb zu wenig passierte, um die Neonazi-Mörder zu stoppen. Sie brachten mindestens zehn Menschen um.

© dpa

Neonazi-Trio: Polizei und Verfassungsschutz haben Chancen verpasst

In dem an sich schon unfassbaren Fall des Jenaer Terrortrios kommen beinahe täglich Meldungen über Pannen in den Sicherheitsbehörden hinzu.

Von Frank Jansen

Dabei geht es nicht nur um Versäumnisse beim Verfassungsschutz, sondern auch um Fehler der Polizei. Die Neonazis Uwe M., Uwe B. und Beate Z. hätten vermutlich gestoppt werden können, wären die Behörden energisch genug eingeschritten. Warum das unterblieb, wird zu klären sein. Eine Chronik.

Gravierende Fragen stellen sich schon beim Beginn der Geschichte, dem Abtauchen des Trios Anfang 1998. Am 26. Januar klingeln im thüringischen Jena Polizeibeamte bei Uwe B. und präsentieren ihm einen Beschluss zur Durchsuchung seiner Wohnung und einer Garage, die der Mann gemeinsam mit Uwe M. und Beate Z. nutzt. Ermittelt wird gegen das Trio und weitere Neonazis, weil Attrappen von Briefbomben an Polizeidirektion und Stadtverwaltung in Jena sowie an die Redaktion der „Thüringer Landeszeitung“ verschickt worden waren. In einem Pamphlet, das den Briefen beigelegt ist, stehen wüste Drohungen gegen den damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis.

Die Wohnung von B. wird durchsucht. Einige Sicherheitsexperten berichten, Polizisten hätten ebenfalls Beate Z. und Uwe M. aufgesucht und deren Räume durchsucht. Die Beamten finden offenbar in den Wohnungen nichts und rücken ab zu der etwas entfernt liegenden Garage, in der Utensilien zum Bau von Bomben vermutet werden. Trotz des gravierenden Verdachts nehmen die Polizisten keinen der Tatverdächtigen in Gewahrsam. Die Beamten brechen das Garagentor auf und finden, was sie gesucht haben. Vier Rohrbomben, die sich später als funktionsfähig herausstellen, und weiteren Sprengstoff. Insgesamt 1,4 Kilogramm TNT. Als die Polizei danach die Neonazis sucht, sind sie weg.

Der Thüringer Verfassungsschutz hat Uwe M., Uwe B. und Beate Z. schon länger beobachtet. Die drei gelten als so gefährlich, dass sie dann sogar im 1999 vorgestellten Bericht der Behörde zum Jahr 1998 namentlich genannt werden. Beobachtet wird damals vom Verfassungsschutz auch das Umfeld des Trios, vor allem die Neonazi-Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“ (THS). Die Behörde hat reichlich Einblick – der Anführer des THS, Tino Brandt, wird von 1994 bis 2001 als V-Mann geführt. Trotzdem hat der Verfassungsschutz angeblich gleich nach der Razzia im Januar 1998 Brandts „Kameraden“ Uwe M., Uwe B. und Beate Z. aus den Augen verloren. Eine Panne? Ein absichtliches Versäumnis? Am Dienstag hat Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) eine unabhängige Kommission eingesetzt, die unter Vorsitz des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer die Rolle des Verfassungsschutzes untersuchen soll.

Drama um Holger G. beginnt im Herbst 1999

Im Herbst 1999, wie am Mittwoch bekannt geworden ist, beginnt dann das Drama um Holger G., einen mutmaßlichen Komplizen des Trios, der erst vergangenen Sonntag festgenommen wurde. Der niedersächsische Verfassungsschutz überwacht Holger G. im Jahr 1999 auf Bitte der Thüringer Kollegen. Die vermuten, G. wolle dem untergetauchten Trio ein Quartier im Ausland verschaffen. Doch die Niedersachsen stufen den möglichen Terroristenhelfer G. nur als Mitläufer ein. Es gibt keine Telefonüberwachung, das niedersächsische Landeskriminalamt wird nicht eingeschaltet, die Überwachung läuft nach drei Tagen aus. Und Daten zu G. werden nicht gespeichert.

Der Chef des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans Wargel, hat am Mittwoch den Fehler zugegeben. Man hätte Holger G. „als eigenen Verdachtsfall speichern und bearbeiten müssen“, sagte Wargel in Hannover.

Diesem Versäumnis im Fall Holger G. sollten später noch zwei Pannen folgen.

Doch zunächst ins Jahr 2001. Nach Informationen des MDR sollen damals Zielfahnder des Thüringer Landeskriminalamts zumindest Uwe M. und Uwe B. in der Region Chemnitz (Sachsen) aufgespürt haben. Dennoch seien die Männer nicht festgenommen worden. Zwei Jahre später stellte dann die Staatsanwaltschaft im thüringischen Gera das Verfahren gegen das Trio ein. Wegen Verjährung.

Im April 2007 folgt die nächste Panne im Fall Holger G. Nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn habe die Polizei bei einer Kontrolle ein gemietetes Wohnmobil festgestellt, aber nicht den Mieter des Fahrzeugs ermittelt, hieß es am Mittwoch in Sicherheitskreisen. Der Polizei gelang es erst jetzt, mehr als vier Jahre nach dem Mord an der Polizistin, bei den laufenden Terrorermittlungen Holger G. als Mieter des Wohnmobils festzustellen.

„SoKo Parkplatz“ kommt den Tätern nicht auf die Spur

In dem Fahrzeug saßen damals vermutlich zwei Mitglieder der Terrorgruppe, Uwe M. und Uwe B., die Michèle K. auf einem Parkplatz mit Schüssen getötet haben sollen. Bei der Tat wurde auch ein weiterer Polizist lebensgefährlich verletzt. Wäre damals intensiv ermittelt worden, wer das Fahrzeug gemietet hatte, hätte die Polizei auf die Spur der Terrorgruppe kommen können, hieß es in Sicherheitskreisen. Die Heilbronner Polizei hatte immerhin eine „SoKo Parkplatz“ gebildet, die 2009 vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg übernommen wurde. Dennoch kam die Polizei Holger G. nicht auf die Spur.

Ob Beate Z., das dritte Mitglied der Terrorgruppe, damals auch im Wohnmobil saß und an dem Mord beteiligt war, sei offen, hieß es in Sicherheitskreisen.

Und nochmal Holger G. Wie bereits am Dienstag berichtet, wurde der 37-jährige mutmaßliche Rechtsextremist am 5. November in Hannover von Polizisten aus Thüringen verhört. Die Beamten durchsuchten auch seine Wohnung. Einen Tag zuvor hatte die Polizei im thüringischen Eisenach Uwe M. und Uwe B. erschossen in einem brennenden Wohnmobil gefunden. Wenige Stunden später zündete Beate Z. im sächsischen Zwickau die Wohnräume des Trios an. Die thüringische Polizei kam also am 5. November Holger G. erstaunlich schnell auf die Spur. Und bei der Vernehmung gab G. auch zu, er kenne das Trio und habe seinen Reisepass und seinen Führerschein zur Verfügung gestellt. Doch nach dem Verhör wurde G. wieder freigelassen. Er hätte sofort untertauchen können, wie es Uwe M., Uwe B. und Beate Z. einst getan hatten. Außerdem war am 5. November Beate Z. noch auf freiem Fuß. Sie stellte sich erst am 8. November in Jena der Polizei.

Der wie das Trio aus Jena stammende Holger G. wurde dann am vergangenen Sonntag von Beamten des Landeskriminalamts Niedersachsen festgesetzt. Zwei Tage zuvor hatte die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Damit kam offenbar mehr Schwung in die Aufklärung der komplexen Geschichte des rechtsextremen Terrortrios, das sich in einer DVD „Nationalsozialistischer Untergrund“ nannte. Am Montag schickte ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof Holger G. in Untersuchungshaft.

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