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Politik: Netto keine Entlastung

Von Ursula Weidenfeld

Eine „Wachstumspolitik aus einem Guss“ hat etwas Faszinierendes. Sie ist ein Versprechen. Es ist die Zusage von CDUChefin Angela Merkel an diese Gesellschaft, vieles anders und besser zu machen als die jetzige Regierung. Vorausgesetzt, es gibt im September Wahlen, und vorausgesetzt, die Union gewinnt sie. Aus einem Guss – das weckt Erinnerungen an das deutsche Wirtschaftswunder, an den Wiederaufstieg einer Volkswirtschaft aus Trümmern. Und es nährt die Erwartung, als müsse man sich nur auf die Tugenden von damals besinnen, schon werde die Wirtschaft – und damit die Gesellschaft – heil.

Dass es so nicht ist, zeigen die Details des Wahlprogramms. Bei der Arbeitsmarkt- und in der Sozialpolitik steht Mutiges neben Kleingeistigem, Kluges neben Kurzsichtigem, Deutliches neben Fragwürdigem. Aus einem Guss jedenfalls ist da nichts. Schlimmer noch: Das Konzept insgesamt schafft nicht, nein, es braucht ein kleines Wirtschaftswunder. Obwohl Angela Merkel die erste Kanzlerkandidatin ist, die mit der offenen Ankündigung einer saftigen Steuererhöhung um ein Regierungsmandat bittet, sind die Schecks nicht gedeckt, die sie vor allem in Sachen Maastricht-Kriterien und Haushaltskonsolidierung ausgestellt hat.

Wer fair ist, muss anerkennen, dass es von den nun vorliegenden Wahlprogrammen der potenziellen künftigen Regierungsparteien dennoch das am meisten problembewusste und das ehrlichste ist. Es skizziert die ökonomischen und sozialpolitischen Problemfelder scharf. Und es umschreibt die jämmerlichen Handlungsspielräume, die der Politik im internationalen Wettbewerb bleiben. Bei SPD und Grünen, die der Union jetzt unseriöse Rechnungen vorwerfen, spielen Staatsverschuldung und Verpflichtung zu einer nachhaltigen Politik keine Rolle mehr. Jedenfalls sehen weder das grüne noch das sozialdemokratische Wahlprogramm eine verbindliche Rückkehr zu soliden Staatsfinanzen vor.

Doch was tut die Union? Sie ist sehr offen und ehrlich zu denen, die ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen können. Sie sagt den Pendlern und Schichtarbeitern, dass es demnächst weniger gibt, und denen, die ein Haus bauen wollen, dass es bald gar nichts mehr gibt. Sie sagt aber dafür den Familien, dass es sich bald wieder lohnen soll, Kinder zu haben. Hier ist die Union ehrlich – weil sie praktisch nur in dieser Gruppe umverteilt. Netto keine Entlastung, das heißt auch, es zahlt keiner drauf.

Auch die Unternehmen und Manager können seit gestern nachlesen, worauf sie sich einlassen. Einfacher, nicht weniger ist die Devise auch für sie. Fragwürdig wird es im Arbeitsrecht. Wenn es so ist, dass Teilzeitarbeit ein Beschäftigungshemmnis ist, warum soll der Rechtsanspruch dann ausgerechnet für Familien mit Kindern erhalten werden? Soll die Einstellung von Müttern und Vätern erschwert werden? Wenn Arbeit Vorfahrt hat: Warum werden dann ältere Arbeitslose doch wieder als Erste aus dem Arbeitsleben herausgedrängt, weil sie länger Geld bekommen sollen als nur kurz Versicherte?

Als habe es jemanden gegeben, der vollends „Stop“ gerufen hat, macht die Ehrlichkeit bei den Rentnern, den älteren Langzeitarbeitslosen und den älteren Arbeitnehmern Halt. Da, wo man sein ökonomisches Schicksal nicht mehr in der Hand hat, schreckt die Union zurück. Merkel sagt, dass das Versprechen stabiler Renten nur so lange gilt, wie die erhoffte Beschäftigungswirkung ihrer Arbeitsmarktpolitik eintrifft. Sie bietet den Älteren eine Wette an – wenn sie verlieren, dann wird es eine neue Rentenreformdebatte geben, dann werden die Renten doch sinken. Dasselbe gilt für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Sie wird kommen. Im Programm steht sie nicht.

Die Union hat ein einigermaßen solides Wahlpapier präsentiert. Es ist besser als vieles, was sonst auf dem Markt ist. Wenn sie damit gewählt wird, hat sie ein Mandat für Reformen bekommen. Ein Ziel, wohin diese Reformen die Gesellschaft führen sollen, hat sie nicht formuliert. Und daran ist Schröders Agenda 2010 gescheitert.

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