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NEU-DELHI: Ort der Extreme

Da, wieder kein Wasser.“ Anklagend schaut die 24-jährige Lakshmi auf die altertümliche, steinerne Spüle in der winzigen Küche.

Da, wieder kein Wasser.“ Anklagend schaut die 24-jährige Lakshmi auf die altertümliche, steinerne Spüle in der winzigen Küche. Seit Wochen sitzen Millionen Menschen in Delhi immer wieder auf dem Trockenen, manchmal für Stunden, manchmal für Tage. Der Nachbarstaat Haryana hat Indiens Hauptstadt den Hahn zugedreht.Delhi erlebt die bisher schlimmste Wasserkrise – und das bei Temperaturen von 40, 45 Grad im Schatten. Jedes Jahr verschärfen sich die Wassernöte. Experten warnen bereits vor Wasserkriegen in Asien. Der Preis für einen Kasten Wasser hat sich binnen weniger Jahre fast verdoppelt, die Ärmeren können sich dieses kostbare Gut längst nicht mehr leisten.

Die Kapitale des 1,2 Milliarden Einwohner zählenden Subkontinents platzt aus allen Nähten. 2001 wohnten 13,7 Millionen Menschen in der Hauptstadt. Heute sind es fast 17 Millionen. Damit hat Delhi weit mehr Einwohner als Griechenland. Doch die Infrastruktur hält dem Ansturm nicht stand. Etwa 50 Prozent der Menschen leben in illegalen oder halb legalen Siedlungen, die kaum über ein funktionierendes Abwasser- und Stromnetz verfügen. Vor allem im Sommer, wenn in Büros, Restaurants und den Häusern der Betuchteren die Klimaanlagen nonstop laufen und der Energiebedarf auf Spitzenwerte hochschnellt, bleibt oft über Stunden der Strom weg. Dann wälzen sich die Menschen schlaflos umher, nicht mal nasse Laken oder Ventilatoren schaffen ein wenig Kühle. Und Arbeit wird zur Tortur.

Auch die Lebenshaltungskosten explodieren. In den besseren Vierteln haben sich die Mieten binnen fünf Jahren oft vervierfacht. Viele Mitarbeiter von Botschaften, internationalen Organisationen oder Firmen erhalten heute Miethilfen von 5000 Euro im Monat. Da kann die Masse der Inder nicht mithalten. Privatleben ist Luxus in einer heillos überfüllten Megacity wie Delhi. Enge bestimmt das Leben der Armen und Ärmeren. Lakshmis Wohnung hat zwei winzige Zimmer, die sich sechs Leute teilen.

Wie alle Megastädte Indiens ist auch Delhi eine Stadt der Extreme. Elende Slums grenzen an grüne Nobelviertel, dörfliche Viertel liegen neben schicken Einkaufszentren, Rikschas und Kühe teilen sich die Straße mit Mercedessen und Lastwagen. Mit den Menschenmassen wachsen die Umwelt- und Verkehrsprobleme. Jeden Tag sollen 100 Autos mehr auf die Straße rollen, berichten Umweltverbände. Inzwischen genießt Delhi bereits den zweifelhaften Ruf, die Metropole mit der schlechtesten Luft Asiens zu sein. Die Menschen leben in einer Stadt, aber in anderen Welten. Da sind die Reichen, die im Sommer nach London und New York jetten. Da ist die neue aufstrebende Mittelschicht, die sich stolz das erste Autos leistet. Da sind die Wanderarbeiter-Familien, die auf dem Asphalt campieren. Da sind die verkrüppelten Bettler, die sich nachts auf verfilzten Decken am Straßenrand zusammenrollen.

Lakshmi und ihre Familie zählen nicht zu den Ärmsten der Armen. Sie haben ein Dach über den Kopf und ein Auskommen, auch wenn es knapper wird. Aber manchmal überlegen sie, ob sie aus Delhi wegziehen. „Ins südindische Chennai vielleicht“, sagt Lakshmi. Da sollen die Preise noch bezahlbarer sein. Christine Möllhoff

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