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Neue Akten: Gregor Gysi: Der Rückholer

Über Gregor Gysis Rolle als DDR-Anwalt hat der "Spiegel" neue Akten ausgegraben. Einiges von dem, was das Magazin berichtet, bestreitet der Linksfraktionschef nicht – dennoch ist die Veröffentlichung für ihn ein Eingriff in den Wahlkampf.

Von Matthias Schlegel

Berlin - Sie werden wohl keine Freunde mehr, der Linksfraktionschef Gregor Gysi und das Nachrichtenmagazin „Spiegel“. Nach diversen juristischen Auseinandersetzungen, die Gysi vor allem wegen Veröffentlichungen über seine vermeintliche Nähe zur Stasi auch gegen andere Medien ausfocht, wagt das Hamburger Magazin nun einen weiteren Anlauf: Neue Aktenfunde aus dem SED-Zentralkomitee und dem DDR-Justizministerium belegten, dass der frühere Rechtsanwalt und Vorsitzende der Kollegien der DDR-Rechtsanwälte durchaus nicht der furchtlose Kämpfer für das Recht seiner Mandanten – darunter prominente Bürgerrechtler wie Rudolf Bahro, Robert Havemann und Bärbel Bohley – gewesen sei. Vielmehr habe er bis zum Ende der DDR engagiert und diszipliniert seinem Staat gedient – und vor allem seine eigene Karriere im Blick gehabt.

So habe Gysi am 31. Mai 1988 versucht, in West-Berlin den fünf Wochen zuvor in den Westen geflüchteten DDR-Wissenschaftler Gerhard Fiedler zur Rückkehr zu bewegen. Die Mission „im Sinne der Partei“ blieb jedoch erfolglos. Obwohl Gysi dem Mann Straffreiheit und eine 24-stündige Proberückkehr versprach, habe sich dieser nicht darauf eingelassen.

Gysi selbst bestreitet den Ausflug mit seinem Lada nach West-Berlin nicht. Fiedler sei sein Mandant in einem früheren Fall gewesen, und er, Gysi, sei vom Leiter der Abteilung Staat und Recht beim ZK der SED, Klaus Sorgenicht, um diese Vermittlung gebeten worden. Denn Sorgenicht habe zuvor dem Wissenschaftler, der sein Nachbar gewesen sei, die private Westreise ermöglicht und nach dessen Flucht selbst Ärger bekommen.

Seit Anfang 1988 hat Gysi nach Erkenntnissen des „Spiegels“ in den Westen reisen dürfen, vor allem zu Anwaltstagungen, so nach Paris, London, München, Wien und Istanbul. Von seinen Reisen habe er stets Berichte geschrieben, darin finde sich eine „manische Sammelsucht inkriminierender Informationen“. Die Notate ähnelten „den Berichten, wie sie monatlich zu Tausenden bei der Stasi eingingen“.

Beschrieben wird auch Gysis Rolle im Fall des DDR-Rechtsanwalts Rolf Henrich, der nach seinem regimekritischen Buch „Der vormundschaftliche Staat“ im Frühjahr 1989 mit Berufsverbot belegt und aus der SED ausgeschlossen wurde. So habe Gysi nach Auskunft von Augenzeugen bei einer entscheidenden Sitzung von Henrichs Rechtsanwaltskammer Frankfurt/Oder gesagt, wer die Stasi „Geheimpolizei“ nenne, dürfe sich über die Folgen nicht wundern. Da könne Henrich, der bis zu jenem Vorfall mit Gysi befreundet war, keiner helfen. Gysi selbst bestreitet, auf jener Versammlung das Wort ergriffen zu haben, und beruft sich dabei auf das Protokoll der Sitzung.

Ein Novum in dieser gesamten Auseinandersetzung ist, dass Gysi jetzt seine Antworten auf die Rechercheanfragen des „Spiegels“ schon vor Erscheinen des Artikels selbst an die Medien gab. Dadurch wurden zusätzliche Details öffentlich zugänglich – etwa dass er sich 1988 über Genex einen Ford Orion aus dem Westen kaufen konnte, weil von der Großmutter eine Erbschaft angefallen war, und dass er die ständigen Zollkontrollen bei seinen Westreisen auf sein Aussehen zurückführte. Sein Insistieren beim Justizministerium, ihm diese Kontrollen zu ersparen, blieb offenbar erfolglos.

In sein Antwortschreiben an den „Spiegel“ flicht Gysi eine leise Drohung ein: „Mal sehen, ob das Ganze im Prozess endet oder vielleicht noch anders gehandhabt werden kann.“ Sein Urteil wegen der Kurzfristigkeit der Anfragen steht ohnehin fest: „Von vornherein war ich mir darüber im Klaren, dass Sie noch versuchen werden, gegen die Partei Die Linke in den Wahlkampf einzugreifen.“

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