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Politik: Neue Armut stellt Sozialpolitik in Frage

SPD-General warnt vor Auseinanderbrechen der Gesellschaft / CDU-Politiker Röttgen für Kurswechsel

Berlin - Die Debatte über „neue Unterschichten“ weitet sich zu einer Grundsatzdiskussion über Gewinner und Verlierer in Deutschland aus. SPD und Gewerkschaften forderten am Dienstag, in der Auseinandersetzung mit neuer Armut dürfe über den zunehmenden Reichtum am anderen Ende der sozialen Skala nicht geschwiegen werden. Unionspolitiker warnten ebenfalls vor einer „Verengung“ der Diskussion und forderten, die Abstiegsängste in der Mitte der Gesellschaft ernst zu nehmen. Die Erfahrung, unter den Bedingungen der Globalisierung mit eigener Arbeit nicht mehr konkurrenzfähig zu sein, sei nicht auf niedrige Einkommensgruppen beschränkt. In der SPD-Fraktionssitzung kam es am Dienstag zu einer teilweise erregten Aussprache über die von Parteichef Kurt Beck ausgelöste Diskussion. Auf Antrag der Fraktionen von Grünen und Linkspartei wird sich der Bundestag am Donnerstag in einer aktuellen Stunde mit dem Thema Armut in Deutschland befassen.

Der Fraktionsgeschäftsführer der Union, Norbert Röttgen (CDU), sprach von einer „neuen sozialen Frage“ und forderte eine neue Sozialpolitik. Auch die Schwachen müssten ein „Recht auf würdevolle Teilhabe“ am gesellschaftlichen Leben bekommen. Die Sozialpolitik müsse daher weg vom alten Prinzip der Alimentation hin zu einer „Integration“ der Schwachen. Wenn es nicht gelinge, die „Angstparalyse“ derer zu überwinden, die sich als Verlierer der Globalisierung sähen, werde auch eine Politik kein Mandat mehr bekommen, die auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ziele.

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil warnte vor einem Auseinanderbrechen der Gesellschaft, wenn es einem Drittel der Menschen gut gehe, die Mitte Angst vor dem Abstieg habe und ein Drittel abgehängt sei. Er forderte zugleich: „Wenn man über Armut in Deutschland redet, darf man über Reichtum nicht schweigen.“ DGB-Chef Michael Sommer warnte in der „Neuen Presse“ (Hannover) ebenfalls vor einer Aufspaltung der Gesellschaft. Er nannte die Hartz-IV-Reform eine „Lebenslüge“, weil der Staat zwar fordere, aber mangels Jobs nicht fördern könne. Dem widersprachen führende SPD-Politiker. Hartz IV sei nicht die Ursache neuer Armut und aussichtsloser Lebenssituationen, sondern bringe sie lediglich deutlicher zum Vorschein. Vizekanzler und Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) sagte, schuld an der Armut in Deutschland sei die hohe Arbeitslosigkeit, nicht die Arbeitsmarktreform. In der SPD-Fraktionssitzung wies Fraktionschef Peter Struck die Kritik des Parteilinken Ottmar Schreiner am Kurs der SPD unter Kanzler Gerhard Schröder als „unsolidarisch“ und „falsch“ zurück.

Gegen die Art, wie die Politik die Debatte führt, gab es erneut auch grundlegende Einwände. So warnte die Nationale Armutskonferenz davor, in diffamierender Weise über arme Menschen zu reden. Die Debatte um den Begriff „neue Unterschicht“ nannte der Sprecher der Konferenz „gekünstelt“. Es müssten vielmehr jetzt politische Maßnahmen getroffen werden wie erhöhte Regelsätze für das Arbeitslosengeld II und eine bessere Existenzsicherung für Kinder.

Für die Linkspartei verlangte Fraktionschef Oskar Lafontaine erneut eine Abschaffung des Hartz-IV-Gesetzes. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel nannte die bisherige Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik komplett falsch. „Wer keine Arbeit hat, kommt in die Armutsfalle“, sagte Niebel. Das bringe die „subjektiven Ängste zum Kochen“, weil „jeder, auch in der Mitte der Gesellschaft, mittlerweile diese Armutsfalle zu befürchten hat“. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Montag eine solide Ausbildung als Voraussetzung dafür empfohlen, dem sozialen Abstieg zu entkommen.

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