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Was soll’s, scheint Schäubles Geste zu sagen. Die Mehrheit der Kanzlerin (Mitte) ist groß genug. Die Justizministerin räumt die Regierungsbank demnächst. Foto: Sören Stache/dpa

© dpa

Politik: Neue Freunde, neue Feinde

Die zweite Sitzung des neuen Bundestags ist auch die der neuen Koalition. Schwarz-Rot versucht, schon einmal durchzuregieren. Doch den neuen Super-Ausschuss finden alle andern gar nicht super.

Berlin - An die neuen Gepflogenheiten im Bundestag muss sich die CSU-Politikerin Dorothee Bär noch gewöhnen. Sie habe nun ihre erste Rede seit langer Zeit gehalten, bei der es keinen Zwischenruf von der SPD-Kollegin Caren Marks gegeben habe, wundert sich Bär – und sieht schon den „Beginn einer wunderbaren Freundschaft“. Was Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zu der ironischen Bemerkung verleitet, dass in dieser Wahlperiode noch „viele wunderbare und überraschende Freundschaften“ entstehen und einzelne vielleicht auch zerbrechen würden.

Der Bundestag kam an diesem Donnerstag zu seiner zweiten Sondersitzung seit der Wahl zusammen, die Opposition hatte auf diesen Termin gedrängt. Die veränderte Rollenverteilung zwischen den Fraktionen ist nicht nur der CSU-Politikerin Bär noch fremd. Sie führt dazu, dass sich die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, und ihr SPD-Kollege Thomas Oppermann – vor zwei Monaten noch Wunschkoalitionspartner – im Plenum angiften bei der Frage, wie das Parlament bis zur Regierungsbildung arbeitsfähig bleiben kann. Und sie führt dazu, dass manch ein SPD-Abgeordneter sich überrascht die Augen reibt, als Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ausgerechnet ein SPD-Vorhaben mit großem Pathos verteidigt: die abschlagsfreie Rente mit 63. Die große Koalition wolle etwas tun für Menschen in „körperlich harten, auszehrenden“ Berufen, schwärmt Leyen. Schöner hat es auch SPD-Chef Sigmar Gabriel am Vortag nicht formuliert.

Auf der Tagesordnung stehen Mandatsverlängerungen für die Bundeswehr im Südsudan und in der westsudanesischen Krisenregion Darfur. Die Linke bringt drei Gesetzentwürfe ein, von denen zwei die SPD in Schwierigkeiten bringen sollen – mit Forderungen nach einem Mindestlohn ohne Ausnahmen und der Einschränkung von befristeten Verträgen. Die Grünen beschäftigen sich in einem Antrag mit dem Klimaschutz, der im Wahlkampf zu kurz gekommen ist. Die Abgeordneten haben außerdem zum ersten Mal in dieser Wahlperiode die Gelegenheit, in einer Fragestunde die noch geschäftsführende schwarz-gelbe Bundesregierung zu löchern. Doch zunächst einmal gibt es Ärger um ein außergewöhnliches parlamentarisches Verfahren, das auch Bundestagspräsident Lammert nicht unkommentiert lässt.

Es geht um einen Gesetzentwurf des Bundesrats. Der soll dafür sorgen, dass die Gelder, die der Bund für den Kitaausbau bereitgestellt hat und die noch nicht vollständig ausgegeben sind, nicht zum Ende des Jahres verfallen. Eigentlich kein strittiges Thema. Doch Union und SPD bestehen darauf, die Angelegenheit schon in dieser Sitzung zu beschließen, ohne die sonst übliche Überweisung in einen Bundestagsausschuss und ohne Anhörung. Seit der Reform der Geschäftsordnung im Jahr 1980 habe es einen solchen Beschluss im Deutschen Bundestag noch nicht gegeben, gibt der CDU-Politiker Lammert zu Protokoll. Man sei sich sicher einig, dass dieses Verfahren „nicht das Modell der künftigen parlamentarischen Gesetzgebung hier im Hause“ sein könne, ermahnt Lammert die künftige große Koalition. Das Vorgehen ist auch deshalb erstaunlich, weil der Bundestag bereits zu Beginn seiner Sitzung mit den Stimmen von Union und SPD die Einsetzung eines Hauptausschusses beschlossen hat. Dieser Super-Ausschuss soll bis zum Abschluss der Koalitionsbildung die Fachausschüsse ersetzen und sich damit auch um die weitere Bearbeitung von Gesetzesinitiativen kümmern.

Eine „gute Lösung“, die allen Fraktionen „die effiziente Mitarbeit“ ermögliche, findet Unions-Parlamentsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer. Die Linken-Politikerin Petra Sitte hält den Hauptausschuss jedoch für „nicht rechtskonform“, da das Grundgesetz die Einsetzung von bestimmten Ausschüssen vorsehe. Auch die Grünen stimmen dagegen. Der SPD-Politiker Oppermann kann die Aufregung nicht verstehen. Dass die Regierungsbildung länger dauere, liege auch daran, dass die SPD zum ersten Mal ihre 470 000 Mitglieder über den Koalitionsvertrag entscheiden lasse. Er wirbt um Verständnis, dass es dadurch noch einmal gut zwei Wochen dauern wird, bis die Bundeskanzlerin gewählt werden kann. „Das ist kein Rückschlag für die Demokratie, sondern eine Bereicherung.“

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