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Politik: Neue Herren, altes Land

PRISTINA . Der rote Schriftzug weist den Weg.

PRISTINA . Der rote Schriftzug weist den Weg. Jugendliche mit dem Farbtopf in der Hand malen eifrig die Abkürzung mit der Symbolkraft an die Mauern im ärmlichen Stadtteil von Kolovica. Am Weg haben sie vor einer Schule Blumen ausgestreut, so wie es wahrscheinlich ihre Eltern aus den Zeiten von Diktator Tito oder seinem albanischen Gegenüber Enver Hodscha her noch kennen. Am Hügel über Pristina sind über Nacht albanische Flaggen mit dem schwarzen Adler auf rotem Hintergrund aufgetaucht. Vor ein oder zwei Tagen hätte das einen schnellen Einsatz serbischer Polizisten provoziert. Jetzt sind diese abgezogen, und überall prangt am Stadtrand von Pristina der Schriftzug der UCK, der "Kosovo-Befreiungsarmee".

Nun hat zwar nicht die albanische Rebellentruppe, sondern die Nato das Kosovo vom Belgrader Joch befreit. Doch die bewaffneten Kämpfer wollen am Triumph teilhaben. Mit den roten Fahnen sind auch sie über Nacht aus den umliegenden Dörfern und aus Verstecken in der Kosovo-Hauptstadt aufgetaucht.

Entlang der Straße zum Stadtrand werden die Häuser höher und größer. Oben am Hügel über der Stadt wartet ein besonders pompöser Bau, eine Mischung aus Villa und Bunker. Die turmartigen Aufbauten links und rechts mit den kleinen Luken erinnern an Schießscharten. Ein reicher Geschäftsmann, so erklärt einer der Wächter in Uniform, habe der UCK sein Domizil als Hauptquartier zur Verfügung gestellt. Im verwilderten Garten mähen Soldaten das Gras. Einer späht vom Dach des Nachbarhauses mit dem Gewehr im Anschlag über die Stadt. Auf dem Hauptplatz vor der Villa ist eine Einheit von 30 Mann zum Fahnenappell angetreten. "Um die Fahne sind wir vereint, mit einem Wunsch und einem Ziel", singen die Soldaten mit rauhen Stimmen.

Remi, der Kommandant, läßt am Ziel wenig Zweifel aufkommen. Er empfängt hinter einem ausladenden Pult, an der Wand hängt der schwarze Adler. Remi heißt eigentlich Rustem Berisha und hat einmal ein Jura-Studium begonnen. Doch wie alle anderen Kommandanten der Rebellenarmee hat er sich im Krieg gegen den serbischen Besatzer einen Spitznamen zugelegt. Wenn er spricht, schaut er mit leerem Blick in die Ferne. Der Kommandant der Lap-Region nördlich von Pristina und Chef über angeblich 7000 Mann ist knapp 28 Jahre alt. Rund um Podujevo haben die bewaffneten Rebellen den serbischen Einheiten besonders erbitterten Widerstand geleistet. Vor sechs Jahren hat Remi die UCK mit gegründet. Zwei Jahre lang lebte er im Untergrund.

Wenn Remi formuliert, klingt alles einleuchtend einfach: "Ich bin angetreten, mein Land zu befreien." Doch wo liegt das Land, von dem der Kommandant spricht? Überall dort, wo Albaner leben, ist für ihn Albanerland: "Eines Tages werden auch die Albaner in Mazedonien und in Montenegro frei sein." Frei heißt: Vereinigung mit dem albanischen "Mutterland". Daran gibt es kaum Zweifel, auch wenn Remi das verpönte Wort von Groß-Albanien nicht in den Mund nimmt.

Jedenfalls ist für ihn die Zeit noch nicht gekommen, die Waffen abzugeben. Die serbischen Einheiten sind zwar abgezogen. Doch ein Teil der Polizisten oder Paramilitärs, so behauptet Remi, haben nur ihre Uniformen abgelegt und halten sich in ihren Häusern versteckt. "Wir werden versuchen, sie zu identifizieren", sagt Remi. Die Ankündigung klingt durchaus bedrohlich. Nichts zu befürchten habe nur, wer nicht in den Krieg gegen die albanische Bevölkerung involviert gewesen sei. Die Liste der Einschränkungen ist allerdings lang. Denn selbst die jungen Kosovo-Serben, zum Teil zwangsmobilisiert, sieht Kommandant Remi als "Verräter", die vor ein Gericht gehören.

Bei den Friedensverhandlungen von Rambouillet war zwar von der Entwaffnung der UCK die Rede. Doch Remi will von einer Demilitarisierung nichts wissen. Im Gegenteil, die UCK müsse "noch stärker und professioneller" werden. Und wenn die Rebellenarmee erst stark sei, würden alle Albaner frei. Im Kosovo ist erst ein Etappenziel erreicht. Vorerst müssen sich die Kosovaren mit dem Protektorat zufrieden geben und der Unabhängigkeit abschwören. Doch was passiert nach der dreijährigen Übergangsfrist? "Die Dinge entwickeln sich schnell und positiv für uns", lächelt der Kommandant. Mit der Nato, glaubt der kleingewachsene Kämpfer, werde man sich wie "unter Soldaten" gut verstehen. Tatsächlich droht Streit eher in den eigenen Reihen. Ibrahim Rugova, den Albanerführer im Exil, will der Hardliner von der UCK nicht mehr als "Präsidenten" der Kosovaren akzeptieren. Rugova und sein pazifistischer Kurs sind "Geschichte", heißt es.

In Prizren, in der deutschen Zone gelegen, greift die UCK nach dem Einmarsch in die Stadt bereits nach der politischen Macht. Die Kämpfer wollen das nach dem Abzug der Serben verwaiste Rathaus übernehmen. In Pristina, wo britische Einheiten vielleicht etwas entschlossener Flagge zeigen, müssen sich die Rebellen diskret am Stadtrand aufhalten. Nicht nur die Serben, sondern auch einige Albaner sind darüber nicht unglücklich.

Rund um die Hauptstadt sind während der Vertreibungen und schon zuvor die Dörfler aus der Provinz gestrandet. In den Armenvierteln rund um die ausufernde Stadt ist die UCK populär. Doch im Zentrum und unter den Städtern von Pristina stößt der unverhohlene Machtanspruch der Guerilleros auf Unbehagen. Einige träumen noch immer von Enver Hodscha, von Albaniens Langzeitdiktator. Kommandanten mit ideologischem Ballast und großen Scheuklappen entscheiden, wer "Verräter" ist und wer "Patriot". Manchmal eine Entscheidung über Leben und Tod. "Bei der UCK versteht man vielleicht etwas von Waffen, aber nicht von Demokratie", schimpft eine albanische Journalistin. Sollte den Guerilleros der Griff nach der Macht gelingen, werde die Demokratie im Kosovo nicht Fuß fassen können.

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