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Der CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer (l-r), der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) können nun verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen.

© dpa

Neue Koalition: Das Programm heißt Arbeit

Am 24. September haben die Wähler der CDU, SPD und der CSU das Vertrauen entzogen. In der neuen Koalition erhalten die Volksparteien eine Chance, es zurückzugewinnen. Ein Kommentar.

Was die drei Parteivorsitzenden Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz am Freitagmittag müde, aber durchaus zufrieden verkündeten, war mehr als eine Einigung auf den kleinsten Nenner, wie die Kritiker einer sich am Horizont abzeichnenden neuen großen Koalition das 28-seitige Sondierungspapier vermutlich bewerten. Es war ein erster und durchaus vernünftiger Schritt in Richtung einer Regierungsbildung, zu der es ernsthaft im Moment nur eine Alternative gäbe: Neuwahlen.

Das sollten auch die Funktionäre der SPD bedenken, die dem Papier auf einem Parteitag in Bonn zustimmen müssen. Bei ihnen dominiert im Moment noch die nordrhein-westfälische Vorliebe zur bundespolitischen Opposition – eine Orientierung freilich, zu der sie auf Landesebene nach einer krassen Wahlniederlage gerade erst gezwungen worden waren. Das wirkt vielleicht nach, sollte aber eben keine Zielvorstellung für das ganze Land sein. Bei den Parteimitgliedern selbst, die dann das endgültige Votum abgeben müssen, gibt es weniger Zweifel an der Einsichtsfähigkeit in demokratische Zwänge. Eine Minderheitsregierung der Union, von SPD, FDP und/oder Grünen oder gar der AfD wechselnd mit Mehrheiten ausgestattet, wäre für einen Staat mit europa- und weltpolitischer Verantwortung unverantwortlich.

Dass 28 Seiten ausreichen, um die wesentlichen Vorhaben dieser Koalition zu beschreiben, ist ein gutes Zeichen. Absichtserklärungen von 200 und mehr Seiten sollten uns Bürger immer eher misstrauisch stimmen. In viel Papier lassen sich auch viele wolkige Formulierungen verstecken. Mit der Beschränkung auf das Wesentliche könnte – so keimt vorerst einmal die Hoffnung – ein Signal verbunden sein: das Signal, dass die drei Wahlverlierer vom vergangenen September die wirklichen Nöte der Bürgerinnen und Bürger begriffen haben.

Die Volksparteien könnten Vertrauen zurückgewinnen

Und diese Nöte kann man benennen. Zu ihnen gehört die Verzweiflung, in einem abgehängten ländlichen Raum zu leben, der Zorn über eine marode Bildungsstruktur, die nur durch eine Kooperation von Bund und Ländern verbessert werden kann. Da sind der fehlende öffentliche Nahverkehr, die Mängel in der Verkehrsinfrastruktur. Ängste vor unkontrollierter Einwanderung, das Bangen, ob im Alter das Geld noch zum Leben reicht, ob Wohnen bezahlbar bleibt, der Wunsch nach einer sich nicht nur in Reden manifestierenden Familienpolitik, das Gefühl, dass es in Deutschland gerecht zugeht – unter solchen Oberbegriffen könnte das Regierungshandeln der kommenden vier Jahre versammelt werden. Sie alle finden sich recht deutlich in den 28 Seiten wieder, die für die eigentlichen Koalitionsgespräche und die Regierungspolitik als Richtschnur dienen müssen.

Wenn es so käme, wäre das Beste, was man von dieser Koalition am Ende der Legislaturperiode sagen könnte, dass sie eine Arbeitsregierung gewesen sei und keine der Träume. Wenn es so käme, würden auch die Volksparteien das Vertrauen zurückgewinnen können, das die Wähler der CDU, der SPD und der CSU am 24. September so deutlich entzogen haben. Wenn dann noch Deutschland künftig wieder seine Verantwortung in Europa und in der Welt wahrnehmen würde – auch für den Willen dazu gibt es im Sondierungspapier ja klare Hinweise – könnte am Ende aus der Krise doch noch etwas Rettendes erwachsen.

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