zum Hauptinhalt

Politik: Neue Nieren für jeden?

Ein Ärztefunktionär wirft einem Regierungsberater Euthanasie vor, weil er den maximalen Leistungskatalog für unbezahlbar hält

Wenn man mit einem Leiden zwei Mediziner aufsucht, erhält man zwei Diagnosen. Das weiß jeder, der schon einmal beim Arzt war. Wenn man zwei Mediziner zur Politik befragt, passiert das auch. Und so sollte es einen eigentlich nicht verwundern, dass Dr. med. Karl Lauterbach zu anderen gesundheitspolitischen Diagnosen kommt als Dr. med. Alfred Möhrle. Interessant wird der Streit, wenn man sich Zeitpunkt und Schärfe der Auseinandersetzung ansieht – und die Rolle der beiden Kontrahenten. Letzterer ist Präsident der Hessischen Landesärztekammer und Vorstandsmitglied in der Bundesärztekammer, der erste ist Professor für Gesundheitsökonomie in Köln, Chefberater von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und gleichzeitig Mitglied der Rürup-Kommission zur Reform der Sozialsysteme.

Genau eine Woche bevor die Gesundheitsministerin die Eckpunkte für ihre Strukturreform präsentieren will – deren geistiger Vater der Kölner Gesundheitsökonom ist – gerät Lauterbach nun ins Visier der Ärztefunktionäre. Schon seit ein paar Wochen ist das Klima zwischen Bundesregierung und Ärzteschaft immer frostiger geworden. Mit vorübergehenden Praxisschließungen und Protestkundgebungen machen die Ärzte gegen die Sparpolitik und die geplanten Reformen der Ministerin mobil. Mit einem über Fachpublikationen ausgetragenen Kleinkrieg erhält der Streit eine neue Dimension.

In einem Aufsatz „Auf gefährlichen Pfaden“ greift Möhrle am Freitag in der „Deutschen Ärztezeitung“ Lauterbachs Thesen zur medizinischen Ethik an. Die Vorwürfe haben es in sich: Mit Verweis auf die verbrecherische Gesundheitspolitik der Nationalsozialisten warnt Möhrle vor einer „unheilvollen Spirale“, die Lauterbach mit seinen Überlegungen zur Rationierung im Gesundheitswesen in Gang setzen könnte – und die in Euthanasie enden könnte. „Was für ein Gedankengut kommt hier zum Vorschein?“ fragt Möhrle. „Soll es ab 70 keine neue Niere oder ab 80 keine Hüftprothese mehr geben?“

„Unsäglich“ findet der Angesprochene die Beschuldigungen. Mit einer „Kampagne“ der Ärztekammer habe er schon gerechnet. „Ich muss mich warm anziehen“, sagt Lauterbach, schließlich stünde man in Deutschland mit kritischen Anmerkungen zum Gesundheitssystem „zum Abschuss frei“. Der Kölner Wissenschaftler gehört zu den heftigsten Kritikern der deutschen Ärzteschaft. Als Mitglied des Sachverständigenrates des Gesundheitsministeriums kritisierte er mit seinen Kollegen ein hohes Maß an „Unter-, Über- und Fehlversorgung“ im Gesundheitswesen.

Doch auch Lauterbachs Thesen – mit der Harmlosigkeit des Theoretikers vorgetragen – könnten vor allem in der politischen Praxis missverstanden werden, wie der Politikberater selbst einräumt. Weil wegen des technischen Fortschritts im Gesundheitswesen „der maximale Leistungskatalog auf Dauer nicht finanzierbar“ sei, werde eine Rationierung die notwendige Folge der Mittelbegrenzung sein, argumentiert Lauterbach in seinem Aufsatz. „Unter dieser Annahme impliziert eine als gerecht empfundene Mittelverteilung, dass bestimmte Personen von einer optimalen Behandlung ausgeschlossen werden“, schreibt er. Wem was zusteht, müsse in demokratischen Prozessen entschieden werden. Im Nachhinein muss Lauterbach nun klarstellen, er wolle nicht einzelne Personengruppen komplett ausschließen. Wie den 80-Jährigen mit der kaputten Hüfte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false