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Neue Weltfinanzordnung: Warum macht die globale Finanzmarktreform keine Fortschritte?

Vier Monate nach dem Weltfinanzgipfel gibt es nur wenige Fortschritte bei der Reform der Finanzmärkte. Warum ist die Ratlosigkeit so groß?

Die Versprechen waren riesig. Man habe „wichtige Schritte zu einer globalen Wirtschaftsordnung“ vereinbart, verkündete Kanzlerin Angela Merkel nach dem Weltfinanzgipfel in Washington im vergangenen November. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy befand damals sogar: „Wir betreten eine neue Welt.“ Und kurz darauf versicherte auch der neue US-Präsident, dass seine Regierung radikale Reformen für die globale Wirtschaft anstrebe. „Wir können die Märkte des 21. Jahrhunderts nicht mit der Regulierung des 20. Jahrhunderts betreiben“, erklärte Barack Obama und forderte „klare Verkehrsregeln“ für die Finanzbranche, und das „weltweit“.

Bis zum nächsten Gipfel Anfang April in London, so lautete daher der Plan, sollten die Finanzdiplomaten der 20 großen Industrie- und Schwellenstaaten (G 20) in vier Arbeitsgruppen zu den Themen Bankenregulierung, internationale Koordination der Aufsicht sowie Modernisierung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) eine neue globale Finanzordnung aushandeln.

Doch so einig sich die Regierungschefs bei den Zielen auch gaben, so zerstritten sind ihre Regierungen über die praktischen Konsequenzen. In alter Gewohnheit verteidigten die jeweiligen Minister und ihre Beamten „lieber nationale Wettbewerbsvorteile und Interessen, anstatt einen großen Wurf zu wagen“, klagt einer der beteiligten EU-Diplomaten.

Wie lautete das Ziel?

Die G-20-Staaten hatten in Washington vereinbart, dass künftig „alle Finanzmärkte, Produkte und Teilnehmer reguliert und Gegenstand der Aufsicht“ sein sollten. So sollte das ausgedehnte „Schattenbank-System“ aus Hedgefonds und anderen Kapitalverwaltungsfirmen erfasst werden, die zumeist formal in unregulierten Steueroasen registriert sind, um ungestört von amtlichen Kontrollen jede noch so riskante Geschäftsstrategie verfolgen zu können. Als Kreditgeber und oft auch als Eigentümer waren viele Banken mit diesen „Offshore“-Gesellschaften jene hohen Risiken eingegangen, die seit Ausbruch der Krise mit bisher schon fast einer Billion Dollar aus Steuergeldern aufgefangen werden mussten.

Woran hakt es?

Die Möglichkeit, Milliardensummen geheim und ohne Aufsicht mittels Briefkastenfirmen auf Inseln in der Karibik oder im Ärmelkanal zu verwalten, gilt als entscheidender Wettbewerbsvorteil der Finanzplätze London und New York. Deren Lobbyisten inner- und außerhalb der dortigen Finanzbehörden reklamierten daher in den vergangenen Monaten lautstark, nicht die Hedgefonds hätten die Krise verursacht, sondern die schlechte Aufsicht bei den ganz normalen Banken. Darum bedürfe es gar keiner Regulierung an dieser Front. Gleichzeitig will US-Finanzminister Timothy Geithner gerade die Manager dieser „Offshore“-Vermögen mit Staatsgarantien dafür gewinnen, den maroden Banken ihre bisher unverkäuflichen „toxischen“ Kreditpakete abzukaufen. Harte Auflagen infolge einer G-20-Vereinbarung wären dem Plan vermutlich nicht förderlich.

Demgegenüber beharrten aber Berlins Finanzminister Peer Steinbrück und seine französische Kollegin Christine Lagarde auf der Durchsetzung lückenloser Kontrollen bei allen Finanzfirmen, auch deshalb, weil sie die Unternehmen ihrer Länder besser vor der Überschuldung nach dem Kauf durch angelsächsische Finanzinvestoren schützen wollen.

Was ist die Konsequenz?

Heraus kam nun ein lauer Kompromiss. Nicht alle, sondern nur „systemisch relevante“ Fondsgesellschaften mit besonders großen Anlagesummen sollen künftig der Aufsicht unterliegen, erklärten die G-20-Finanzminister nach ihrem jüngsten Treffen in Horsham bei London. De facto, so hieß es bei den Finanzdiplomaten, würde das vermutlich nur etwa 100 von mehr als 10 000 Offshore-Fonds betreffen. Offen blieb zudem, worin die Aufsicht bestehen soll. Ausdrücklich genannt ist lediglich, dass Hedgefonds ihre Risiken offenlegen sollen, nicht aber, ob und wann die Aufseher eingreifen müssen.

Ähnlich vage sind die Vereinbarungen zur Bekämpfung der Steuerflucht. Nicht näher benannte „internationale Einrichtungen“ sollen beauftragt werden, „nicht-kooperative“ Steueroasen zu identifizieren und einen „Werkzeugkasten“ mit „effektiven Gegenmaßnahmen“ zu entwickeln. Welche Staaten das betreffen würde, ist völlig unklar. Alle Staaten, die bisher mit ihrem „Bankgeheimnis“ das Geschäft mit der Steuerflucht betreiben, zuletzt auch die Schweiz, hatten jüngst versichert, sie würden künftig im Einzelfall kooperieren, wenn es einen konkreten Verdacht auf Steuerhinterziehung gebe. Würde dies als ausreichende Kooperation anerkannt, würde sich in der Praxis wenig ändern, weil die Steuerbehörden meist nur zufällig auf handfeste Belege stoßen. Finanzminister Steinbrück hatte daher den automatischen Austausch der Vermögensdaten über Bürger des jeweils anderen Staates gefordert, wie er zwischen den meisten OECD-Staaten üblich ist. Sein Schweizer Kollege Hans-Rudolf Merz und mit ihm die Regenten aller anderen Steuerfluchtplätze lehnen genau das rundheraus ab.

Wie sieht es mit der versprochenen Reform von IWF und Weltbank aus?

Auch hier geht es bisher nicht voran. Beide Institutionen werden dringend benötigt, um mit günstigen Krediten den Staaten Osteuropas und vielen Entwicklungsländern durch die Krise zu helfen. Diese leiden – oft ohne eigenes Verschulden – unter einem dramatischen Abfluss von Kapital, weil die Banken der Wohlstandsländer ihr Geld für die eigene Sanierung abziehen. Gleichzeitig werden sie am Kapitalmarkt von den Industriestaaten verdrängt, die für ihre Konjunkturprogramme mehr als eine Billion Dollar neue Schulden aufnehmen. Darum sollen nun die IWF-Mittel von bisher 250 auf 500 Milliarden Dollar aufgestockt werden, auch die Weltbank soll zusätzliche Ressourcen bekommen. Viele Fachleute halten sogar eine Verdreifachung für nötig. Aber wer welchen Anteil übernimmt, ist noch ungeklärt, zumal die Notenbanken in Europa, Japan und den USA ihre ausgegebene Geldmenge ohnehin schon bis zum Anschlag aufgebläht haben. Umso dringender wäre daher die Beteiligung von China, Saudi-Arabien und anderen Staaten mit großen Währungsreserven.

Warum ist das so schwierig?

Die Schwellenländer haben in beiden Institutionen bisher wenig zu sagen, während etwa die Europäer allein im Exekutivrat des IWF acht von 22 Sitzen halten. Weil alle Beschlüsse mit einer 85-Prozent-Mehrheit fallen müssen, hat zudem die US-Regierung mit ihrem Stimmenanteil von 17 Prozent de facto ein Vetorecht. Diese Dominanz hatten Europäer und Amerikaner während der Krisen der 90er Jahre genutzt, um in Not geratene Staaten zu zwingen, ihre Märkte und Unternehmen für Investoren aus ihren Staaten zu öffnen. Zuletzt hatte die US-Regierung sogar versucht, den IWF gegen Chinas Währungspolitik in Stellung zu bringen.

Kein Wunder daher, dass die Aufsteiger der Weltwirtschaft eine grundlegende Änderung der Machtverhältnisse fordern. Befragt nach einem chinesischen Beitrag für die Krisenhilfe des IWF, erklärte Chinas Premier Wen Jiabao kürzlich unmissverständlich, zunächst sollten „der Stimmenanteil und der Einfluss der Entwicklungsländer erhöht werden“. Bisher sind dazu aber vor allem die Europäer und auch die Bundesregierung nicht bereit. Stattdessen soll nun beim kommenden Gipfel beschlossen werden, die ohnehin seit langem geplante entsprechende Reform von 2013 auf 2011 vorzuziehen. Gleichzeitig, so heißt es in Kreisen der Verhandler, solle IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn den Schwellenstaaten informell versichern, dass die Hilfskredite dieses Mal nicht mit Konditionen verbunden werden sollen, die China und andere Geldgeber ablehnen. Im Übrigen sei es ja auch im Interesse der Chinesen, dass sie weiterhin nach Osteuropa und Afrika exportieren können.

Dass all die vagen Kompromisse ausreichen werden, das Finanzsystem und die Weltwirtschaft zu stabilisieren, glauben selbst die beteiligten Minister nicht. „Wir sollten nicht einmal erwägen, den Gipfel am zweiten April als Ende des Weges zu sehen“, bekannte etwa Frankreichs Ministerin Lagarde. Der sei nur „ein Schritt“ von vielen. Auch ihr britischer Kollege Alistair Darling nannte das anstehende G-20-Treffen in London nur noch „Teil eines Prozesses“. Es wird wohl noch viele weitere Weltfinanzgipfel geben.

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