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In schwieriger Lage. An der Grenze zur Türkei warten viele syrische Flüchtlinge.

© AFP

Neuer Druck auf Erdogan: Warum die türkische Opposition syrische Flüchtlinge zurückschicken will

Die Gegner Erdogans machen die Flüchtlinge zum Wahlkampfthema - und sie wissen schon genau, wer das Geld dafür bereitstellen soll.

Syrer rauswerfen, Afghanen nicht reinlassen: Die türkische Opposition macht den wachsenden Unmut der Wähler über die vielen Flüchtlinge im Land zum Wahlkampfthema, mit dem sie Präsident Recep Tayyip Erdogan unter Druck setzen will. Kemal Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei im Parlament, versprach jetzt, im Falle einer Regierungsübernahme werde er die mehr als drei Millionen Syrer in der Türkei innerhalb von zwei Jahren nach Hause schicken.

Europa solle die Rückführung bezahlen, sagte Kilicdaroglu. Nach einem Regierungswechsel in Ankara werde die Türkei mehr Forderungen an das Ausland stellen als unter Erdogan, warnte er die EU: „Macht euch auf harte Verhandlungen gefasst.“

Kilicdaroglu, der Vorsitzende der kemalistischen Partei CHP, will mit seinen Ankündigungen bei diesem Thema die Initiative ergreifen, weil wegen der Ankunft tausender Flüchtlinge aus Afghanistan wieder verstärkt über den Zustrom von Menschen aus dem Süden und dem Osten in die Türkei diskutiert wird.

Kein anderes Land der Welt beherbergt so viele Flüchtlinge wie die Türkei: Neben den 3,6 Millionen Syrern leben nach Schätzung von Experten rund 500 000 Afghanen und hunderttausende Menschen aus Nationen wie Irak, Iran und Pakistan im Land. In türkischen Provinzen an der Grenze zu Syrien wohnen inzwischen mehr Syrer als Türken. In der Provinz Kilis hat der Anteil der Syrer an der Bevölkerung rund 75 Prozent erreicht, wie die Zeitung „Sözcü“ meldete.

Dennoch begegneten die Türken den Flüchtlingen aus dem Nachbarland zunächst mit viel Sympathie und Hilfsbereitschaft. Diese Toleranz erklärte sich auch daher, dass viele türkische Familien selbst eine Flüchtlingsgeschichte haben: Viele waren nach dem Ersten Weltkrieg aus ehemaligen osmanischen Provinzen im Kaukasus oder auf dem Balkan in die Türkei gekommen.

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Zehn Jahre nach Beginn des syrischen Bürgerkrieges ist die Stimmung aber umgeschlagen. Noch 2016 waren die meisten Türken laut Umfragen des Demoskopie-Institutes Konda damit einverstanden, dass Syrer in ihrer Stadt oder ihrem Viertel lebten. Drei Jahre später war nur noch eine Minderheit dieser Meinung. Mit einem Syrer in einem Haus wohnen wollten nur noch sieben Prozent der Befragten. Die Krise der türkischen Wirtschaft lässt die anti-syrische Stimmung seitdem noch weiter wachsen. Bettelnde syrische Kinder gehören in türkischen Städten zum Straßenbild.

Erdogan betont, die syrischen „Gäste“ würden irgendwann wieder nach Hause gehen, doch bisher nehmen nur wenige Syrer türkische Angebote für eine freiwillige Rückkehr an. Kontakte mit der Regierung des syrischen Machthabers Baschar al-Assad lehnt Erdogan ab. Kilicdaroglu wirft der Regierung deshalb Tatenlosigkeit vor: Sie nehme Lohndumping durch die Syrer hin und mache damit Türken arbeitslos. Seit nun auch wegen des Truppenabzuges aus Afghanistan täglich mehrere hundert Afghanen über den Iran in die Türkei kommen, hat das Thema Flüchtlinge eine neue Dringlichkeit erhalten.

Erdogans Regierung ist schwer angeschlagen

Zwei Jahre vor dem regulären nächsten Wahltermin in der Türkei ist Erdogan schwer angeschlagen. Korruptions- und Mafiaskandale erschüttern seine Regierung. Auch wegen der Wirtschaftskrise haben sich viele Wähler vom Präsidenten abgewandt. Laut Umfragen haben Erdogans Partei AKP und ihre rechtsgerichtete Partnerin MHP keine Mehrheit mehr. Die Opposition will den Unmut über Erdogans Flüchtlingspolitik nutzen, um die Regierung weiter in die Defensive zu drängen.

Kilicdaroglu sagte in einem Twitter-Video, seine Gesprächspartner in Europa hätten ihn gefragt, wie er das Flüchtlingsproblem lösen wolle. Europa müsse „in die Tasche greifen“, habe er geantwortet: Mit europäischem Geld solle die zerstörte Infrastruktur in Syrien neu aufgebaut werden. „Dann schicken wir die Syrer in ihr Land zurück“, sagte Kilicdaroglu. Vorher will er die Beziehungen der Türkei zur syrischen Regierung wieder herstellen.

Nicht nur der CHP-Chef hat das Thema Flüchtlinge für sich entdeckt. „Die Syrer reichen wohl nicht, jetzt kommen auch noch die Afghanen“, kritisierte Lütfü Türkkan, Fraktionsvize der konservativen IYI-Partei, die mit der CHP in einem Oppositionsbündnis kooperiert. Unter den afghanischen Flüchtlingen seien womöglich islamistische Extremisten, schrieb Türkkan auf Twitter.

Doch selbst wenn die Opposition die nächste Wahl gewinnen sollte, ist es unwahrscheinlich, dass sie die Europäer dazu bringen kann, Milliarden in neue Straßen, Schulen und Krankenhäuser in Syrien zu stecken. Auch Erdogan wollte europäisches Geld für neue Siedlungen in „Schutzzonen“ im Norden Syriens - die EU winkte ab.

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