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Neuer Einbürgerungstest in London: Das ganz große Britannien

Die konservative Regierung will einen patriotischeren Test für Neubürger. Überlegungen zu einem europäischen Phänomen

Zinsskandal in der City, Krise der BBC, Studentenproteste gegen die fast komplette Privatisierung der Universitäten und dramatisch fallende Reallöhne: eigentlich keine richtig gute Zeit für Patriotismus. Das dürfte sich auch die konservative Regierung Cameron in London gedacht haben – und will nun wenigstens bei den Neubürgern ordentlich aufforsten. Ab Herbst nämlich soll nach dem Willen von Innenministerin Theresa May der seit 2005 vorgeschriebene Einbürgerungstest deutlich vaterlandsverliebtere neue Briten produzieren. Nichts mehr über staatsbürgerliche Rechte – ein ungenannter Beamter in Mays Haus sagte, das habe wenig mit britischer Kultur zu tun – und keine praktischen Anleitungen mehr, wie man eine Hausratversicherung abschließt oder am besten mit den Behörden Ihrer Majestät klarkommt. Stattdessen werden künftige Briten demnächst die erste Strophe der Nationalhymne auswendig kennen und ganz viel über britische Geschichte wissen müssen, vor allem wo sie die Größe der Nation bestätigt: von William Shakespeare bis Winston Churchill, über die Entdecker des Penicillins und der DNA, Alexander Fleming und Francis Crick, zu den Beatles und den Rolling Stones. Auch Nationalheroinen sind vertreten, Florence Nightingale und die Ur-Suffragette Emmeline Pankhurst. Dass Britanniens „lange und glänzende Geschichte“ nach diesem Katalog ausgerechnet in den 60er Jahren endet, dem Beginn der Masseneinwanderung, dürfte kein Zufall sein: Die Botschaft an die neuen Briten ist erklärtermaßen, dass das Land „historisch christlich“ sei. England mag eine Insel sein, aber da sind Cameron und seine Leute doch eindeutig Teil der europäischen Leitkultur: Deutschland ist kein Einwanderungsland, jedenfalls kein klassisches, und ein paar Muslime mögen zu Deutschland gehören, der Islam aber, anders als das Christen- und seit ein paar Jahren das Judentum, nicht. Diesseits und jenseits des Ärmelkanals scheinen die Tests für die Einwanderer vielmehr der – nostalgischen – Selbstvergewisserung der Alteingesessenen zu dienen. Und so fragen die heute Regierenden den Schulstoff der eigenen sozialen Herkunft und die ethnische Realität der eigenen Kindheit ab. Wobei anders als für gebürtige Staatsbürger ein „Ungenügend“ zum Ausschluss der Prüflinge führt. In moralischen Fragen wird, in Deutschland jedenfalls, auch mal ein bisschen schöngefärbt: Die Frage nach der Haltung zur Homosexualität trieb vor Jahren nicht nur Muslime auf die Barrikaden. Es fiel bald auf, dass auch manch rechtschaffener Christsozialer – und nicht nur der – womöglich Antworten gegeben hätte, für die solche Tests null Punkte vorsehen. Mehr „Britishness“ heranzuzüchten, kann jedenfalls nicht der Grund für die Patriotenprüfung sein: Das Institute for Social and Economic Research veröffentlichte in dieser Woche eine Studie über das Zugehörigkeitsgefühl der Briten. Mit einem erstaunlichen Ergebnis: Pakistanis zeigten am meisten „feeling“ für die Nation, gefolgt von Bangladeshis und Indern. Die niedrigsten Werte hatten – Briten ohne jeden Migrationshintergrund. Vielleicht sollte Mrs. Mays Test noch einmal ganz neu geschrieben werden?

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