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Politik: Neuer Kopf, altes Denken

Chinas Staatschef Hu Jintao hat zwar den Stil der Politik deutlich gewandelt – die Macht der Partei tastet er nicht an

Er ließ die Hofberichterstattung über Pekings Führer in den Fernsehnachrichten kürzen. Strich das antiquierte Protokoll bei Staatsbesuchen zusammen. Schaffte die einst von Mao Zedong eingeführte Sommertagung der Pekinger Führung in dem Badeort Beidaihe ab. In seinem ersten Jahr an Chinas Spitze hat Hu Jintao einen neuen Politikstil eingeführt und sich damit beim Volk beliebt gemacht. Ob er auch politische Reformen wagen wird, ist aber noch offen.

Als er vor einem Jahr von Jiang Zemin den Vorsitz der Kommunistischen Partei übernahm, galt Hu Jintao noch als gesichtsloser Kompromisskandidat. Der heute 60-Jährige hatte kaum eine eigene Machtbasis, und er war im Ausland nahezu unbekannt. Mittlerweile hat Hu Jintao, der im März dieses Jahres auch das Amt des Staatschefs von Jiang übernommen hat, seine Rolle an der Spitze Chinas gefunden. Vorsichtig reformiert er den verkrusteten Politikstil der Volksrepublik, ohne dabei jedoch die konservativen Kräfte in der Kommunistischen Partei zu verschrecken.

Hu Jintao hatte kein einfaches erstes Jahr an der Spitze. Im Frühjahr brach in China die Sars-Epidemie aus. Hu Jintao und der im März neu ernannte Premier Wen Jiabao nutzten die Krise, um Führungsstärke zu beweisen: Nachdem die Behörden die Krankheit wochenlang vertuscht hatten, feuerte Hu zwei Minister und machte die Ansteckungszahlen öffentlich. Für die ansonsten geheimniskrämerische Pekinger Politik war dies ein Novum. Auch als im Sommer Massendemonstrationen in Hongkong stattfanden, reagierte Hu besonnen. Ein umstrittenes Sicherheitsgesetz, das Auslöser der Proteste war, wurde zurückgezogen und damit die Lage in der Stadt entspannt.

Bisher beschränken sich Hus Neuerungen jedoch vor allem auf Äußerlichkeiten. An der politischen Leitlinie seiner Vorgänger hat er nichts geändert: Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Öffnung Chinas wird von der Regierung vorangetrieben, die politische Macht bleibt jedoch allein in den Händen der Kommunistischen Partei. Unter Hus Führung wurden in den vergangenen Monaten Dutzende Dissidenten, Intellektuelle und Internet-Aktivisten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Bei Themen wie der Taiwan-Frage oder Tibet bleibt Peking hart wie eh und je.

Hu Jintao, dessen Position an der Spitze nicht unangefochten ist, muss seit seinem Amtsantritt vorsichtig agieren. Vorgänger Jiang Zemin, der das Land 13 Jahre lang regierte, hat über Vizepräsident Zeng Qinghong und andere Vertraute noch immer großen Einfluss in der Partei und im Staat. Jiang ist außerdem weiter der Vorsitzende der Militärkommission, was ihm die Kontrolle über die 2,5 Millionen Mann starke Armee verschafft.

Noch gab es zwischen Hu und Jiang keine Konflikte – zumindest keine öffentlichen. „Da Hu seine Macht noch nicht vollständig gefestigt hat, will er keine direkte und ernste Auseinandersetzung mit Jiang auslösen“, sagt der China-Experte Kou Chien-wen vom Institut für Internationale Beziehungen in Taiwan. Manche Beobachter sehen jedoch Anzeichen für Spannungen: Als Hu Jintao wegen Sars im April Gesundheitsminister Zhang Wenkang feuerte, einen ehemaligen Leibarzt von Jiang, empfing Jiang Zemin diesen wenige Wochen danach heimlich zu einer Audienz.

Mit Hu Jintaos Ämterübernahme scheint der erste ordentliche und vor allem der erste friedliche Machtwechsel seit Gründung der Volksrepublik China 1949 gelungen zu sein. Wohin wird Hu das Land in Zukunft führen? Bis zum nächsten Parteitag im Jahr 2007 wird Hu damit beschäftigt sein, seine Macht auszubauen. Vermutlich wird sich erst dann zeigen, ob der Mann an Chinas Spitze ein Reformer oder ein Hardliner ist.

Harald Maass[Peking]

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