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Politik: Neuer Mut aus Bonn

Die Kabinettsklausur fasst keine Beschlüsse, aber einen Entschluss: Eine Reformpause gibt es nicht

In Bonn war damals die Welt noch in Ordnung. Vielleicht sollte das die Hoffnung spendende Botschaft der Kabinettsklausur sein: Wir tagen in Bonn, alles wird gut. Doch an diesem Wochenende ist die Welt wirklich in Unordnung. Im früheren Kanzleramt hat Schröder seine Mannschaft versammelt, und gegenüber dem Sitzungssaal, im improvisierten Kabinettssekretariat, läuft der Fernseher und zeigt die schrecklichen Bilder aus Nordossetien. Immer wieder eilt ein Kabinettsmitglied in dieses Zimmer, um das Neueste von dem Schreckensort zu erfahren.

Nach der ersten Sitzungsrunde wieder ein anderes Bild: Bis weit in die Nacht sitzen die Minister im lauen Lüftchen dieses Spätsommertages auf der Rheinterrasse des Bonner Traditionshotels Königshof. Das hatte seine besten Tage in der Ära Adenauer, als sich hochrangige Besucher aus dem Ausland hier gern einquartierten, die Staatssekretäre sich zum Dinieren und Räsonieren bei einer Flasche Mosel einfanden, die Politik noch unter sich war. Suppe, Schnitzel und Vanilleeis wurden beim Arbeitsessen des Schröder-Kabinetts serviert, und auch der Ort der Klausurtagung selbst, das Palais Schaumburg, wo von Adenauer bis Brandt die Bundeskanzler regierten: Vieles erinnerte an längst verflogene Zeiten.

Außer Spesen nichts gewesen? Richtig ist, dass es kaum greifbare Ergebnisse, keine verbindlichen Beschlüsse gibt. Bei der vorigen Klausur in Neuhardenberg hatte Familienministerin Renate Schmidt den Auftrag erhalten, zu prüfen, ob das schwedische Modell eines Elterngeldes auch für Deutschland etwas tauge – bevölkerungspolitisch und um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie voranzubringen. Jetzt in Bonn hat sich das Kabinett das Projekt zu Eigen gemacht, nur Finanzminister Hans Eichel nimmt das, mit Blick auf die erforderlichen Mittel für weitere Kinderbetreuungseinrichtungen und ausgedehnte Familienförderung, eher mürrisch hin. Wer knackige Entscheidungen mag, dem mag das zu wenig sein.

Abarbeiten von Beschlussvorlagen, Gesetze produzieren, das ist der Alltag im Kabinett. Jeden Mittwoch, wenn Schröder seine Minister zusammenruft, liegen dicke Entscheidungsmappen und umfängliche Referentenentwürfe auf dem Tisch. Dafür muss man sich wirklich nicht in Klausur begeben. Aber etwas anderes, was im Berliner Regierungsalltag immer mehr auf der Strecke bleibt, kann man hier schon versuchen: Verständigung auf die großen Linien der Politik, Teamgeist erzeugen, ein Brainstorming über kommende Schwerpunkte. Auch erste Annäherung in Fragen, wo der Konsens eher schwierig zu finden ist, ist in dieser Atmosphäre leichter möglich. Am Samstag haben sie über Reformen der Pflege- und Krankenversicherung gesprochen, wo die Richtung längst nicht ausgemacht ist. Doch statt sich über Künftiges zu zerstreiten, einigt man sich im friedlichen Geist von Bonn, erst einmal das jetzt Erforderliche zu tun, um sich den größeren Fragen später im grundsätzlichen Rahmen noch einmal anzunehmen

Als Gäste dieser Klausur waren Göran Persson, der schwedische Ministerpräsident, und sein früherer holländischer Amtskollege Wim Kok eingeladen. Beide haben reichlich Erfahrungen mit der Unpopularität harter Reformen und tiefer Einschnitte in das soziale Netz. Persson berichtet, wie er in kürzester Zeit zum unpopulärsten Politiker seines Landes wurde. Doch Kurs zu halten, den eigenen Kurs zu erklären, das habe ihn gerettet – und nicht etwa Zugeständnisse an den Volkszorn. An diesem Beispiel will sich die Bundesregierung ermutigen. Eine Reformpause, wie das nach der SPD-Vorstandsklausur vor einer Woche den Anschein hatte, soll es nicht geben. Am Ende der Tagung beteuern sie das alle.

Peter Siebenmorgen[Bonn]

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