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Mustapha Adib während einer Tour durch Beirut, wo es Anfang August zu einer Explosion kam.

© AFP

Neuer Regierungschef nach Explosion: Der Mann, auf dem jetzt die Hoffnung des Libanons ruht

Mustapha Adib ist neuer Ministerpräsident im Libanon. Bisher vertrat er sein Land als Botschafter in Deutschland. Kann er jetzt den Wandel herbeiführen?

Adib löst Diab ab. Im Netz füllen sich die Kommentarspalten. „Nur ein Buchstabendreher? Bleibt im Libanon jetzt alles beim Alten?“, fragen Nutzer auf Twitter. Andere formulieren es mit Ausrufezeichen und vernichtender Kritik. Dabei hatte Mustapha Adib noch gar keine Gelegenheit, politische Fehler zu begehen.

In dem Land, das er nun völlig überraschend als Premier aus der Krise führen soll, ist er bei weiten Teilen der Bevölkerung ein Unbekannter. Seit sieben Jahren vertritt Adib den Libanon als Botschafter in Deutschland. Jetzt folgt er auf den libanesischen Kurzzeit-Regierungschef Hassan Diab. Eine Woche nach der Explosionskatastrophe vom 4. August mit mehr als 200 Toten war dieser zurückgetreten. Seine Fußstapfen versinken im Trümmerfeld.

Nun komme es darauf an, „dem gefährlichen finanziellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Niedergang des Landes Einhalt zu gebieten“, sagt Adib am Montag in seiner Nominierungsrede. Er soll stabile politische Verhältnisse in einem Land schaffen, das in einer seiner tiefsten Krisen seit Jahrzehnten steckt. Ohne Schuldzuweisungen, ohne verbale Geschütze nimmt er die Arbeit auf. Ein Vollblutdiplomat. Während andere attackieren, übt er sich in Abwägung.

Der Mann aus Tripolis, Mustapha Salem-Adib Abd-Al-Wahed mit vollem Namen, ist promovierter Rechts-und Politikwissenschafter. An mehreren Universitäten im Libanon und Frankreich lehrte er internationales Recht.

Aus Machtgeschacher hielt er sich bislang raus

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern gilt er als gemäßigter Beobachter, als jemand, der sich bislang aus dem Machtgeschacher der Landeseliten herausgehalten hat. Und es zugleich vermochte, sich parteiübergreifend Unterstützer zu sichern. Von 2000 bis 2004 beriet er den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Najib Mikati, diente ihm ab 2011  als Kabinettschef.

Der langjährige Diplomat genießt Rückendeckung von mehreren ehemaligen Regierungschefs, darunter Saad Al-Hariri (2016-2019), Fouad Sinioura (2005-2009) und Tammam Salam (2014-2016).

Am vergangenen Sonntag, an seinem 48. Geburtstag, schlug ihn der sunnitische Block um Ex-Ministerpräsident Al-Hariri für die Regierungsbildung vor. Im Parlament gaben ihm am darauffolgenden Tag 90 von 128 Abgeordneten ihre Stimme. Er wäre der zweite Premier innerhalb eines Jahres. Sein Vorgänger hatte an seinem Nominierungstag im vergangenen Jahr lediglich 69 Stimmen erhalten.

„Das Land braucht jetzt keine Manöver, sondern Lösungen“, sagte Ex-Premier Saad Al-Hariri am Montag. Es gelte, Adib mit aller Kraft zu unterstützen. Den Mann, der auch die Stimmen der schiitischen Hizbollah-Miliz und der Amal-Bewegung auf sich vereinen konnte. Auch die Freie Patriotische Bewegung unter Staatspräsident Michel Aoun gab ihre Stimme für den Diplomaten ab.

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Der Druck, einer Lösung näherzukommen, war groß. Vor allem aus Frankreich – wo Adib mehrere Studienjahre verbracht hat. Noch bevor der französische Präsident am Montagabend in Beirut eintraf, stand die Personalentscheidung fest. Emmanuel Macron pocht seit der Explosion am Hafen auf politische Reformen, knüpft die finanzielle Hilfe in Millionenhöhe an Bedingungen. Das tut auch der Internationale Währungsfonds.

Eine monatelange Hängepartie könnte den endgültigen Niedergang bedeuten. Der designierte Ministerpräsident spricht schon an diesem Mittwoch mit den Vertretern der Parteien. Was er anstrebt, machte er bereits am Montag deutlich: eine Expertenregierung, die Reformen vorantreibt.

Mustapha Adib war sieben Jahre lang Botschafter des Libanons in Deutschland.
Mustapha Adib war sieben Jahre lang Botschafter des Libanons in Deutschland.

© JOSEPH EID / AFP

Sein diplomatisches Geschick ist jetzt gefragt

Gemeint ist neben wirtschaftlichen Erneuerungen auch das politische System. Es folgt seit Jahrzehnten einem strengen religiösen Proporz. Der Präsident des Landes muss maronitischer Christ sein, der Ministerpräsident Sunnit und der Parlamentspräsident der schiitischen Minderheit angehören. Die Nominierung Adibs bleibt dieser Regel treu: Er ist sunnitischer Moslem, genießt den Rückhalt der sunnitischen Zukunftsbewegung um Saad Al-Hariri. Auch das sorgt für Misstrauen innerhalb der Bevölkerung.

Nach der Explosion hält sich Adib gegenüber dem Tagesspiegel mit Kritik an der libanesischen Regierung zurück. Eine Mitschuld an dem Unglück will er nicht attestieren, verweist darauf, dass die Untersuchungskommission alles tun werde, um die Ursachen zu klären.

Er berichtet von engen Freunden, die unter den Schwerverletzten seien. Appelliert an die internationale Gemeinschaft, seinem Land zu helfen. Dass er selber erwägen würde, es in der Rolle des Regierungschefs in die Hand zu nehmen, sagt er nicht. Und auch einen Tag nach seiner Nominierung hält sich die libanesische Botschaft mit Äußerungen zurück.

Die Frage ist nun, ob es Adib gelingen wird, das gebeutelte Land zu befrieden. Schiiten-Anführer Hassan Nasrullah zeigte sich nach der Nominierung „offen“ für Gespräche. Dass die Miliz ihre durch das Proporz-System garantierte Machtposition freiwillig aufgeben wird, ist mehr als fraglich. Auch hier dürfte das diplomatische Geschick des Neulings gefragt sein.

Fatima Abbas

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