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Neues Buch mit Umfrageergebnissen: Was ist typisch Deutsch?

"Typische Deutsche" gehen selten auf Partys, dafür häufig auf Hochzeiten, trinken lieber Wein als Bier, shoppen lieber online und denken, dass in der DDR einiges besser war - zumindest, wenn sie aus Ostdeutschland kommen. Ein jetzt erschienenes Buch beschreibt die Durchschnittsdeutschen.

Emilia Müller arbeitet nicht in dem Traumjob ihrer Kindheit, trotzdem steht sie jeden Morgen vor sieben Uhr auf, isst und trinkt etwas und macht sich dann auf ihren zehnminütigen Arbeitsweg. Sie ist zufrieden, seit etwa sechs Jahren arbeitet sie für den gleichen Arbeitgeber, gelernt hat Emilia aber etwas anderes. Trotz Spaß an ihrem Job ist Emilia Zeit mit der Familie sehr wichtig. Ihr Verhältnis zu den Eltern ist gut, Kontakt zu entfernten Verwandten hat sie hingegen selten. Ein wenig abergläubisch ist sie, ihr Lebenspartner Ben hingegen nicht, trotzdem spielen beide ab und an gerne Lotto.

Würden Emilia und Ben wirklich existieren, sie wären typisch Deutsch, zumindest wenn es nach dem am Montag erschienenen Buch „Wie wir Deutschen ticken“ geht. Zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut YouGov hat der „Zeit“-Journalist und diplomierte Mathematiker Christoph Drösser Umfragen erstellt, die den Deutschen an sich erklären sollen. Von Fragen zur Arbeit, über Geld, Drogenkonsum und Sex, in den 555 grafisch aufgearbeiteten Statistiken versuchen die Autoren, ein statistisches Abbild des „Deutschen“ auf Papier zu bringen. Doch zurück zu unserem Paar.

Nach einem harten Arbeitstag unternehmen Emilia und Ben gerne etwas, feiern steht dabei nicht an erster Stelle. Weniger als einmal im Monat besuchen die beiden eine Party, wenn doch, vor allem Geburtstage, Hochzeiten und Taufen. Maßlos sind sie aber selbst dort nicht. Beide haben zwar Erfahrungen mit schlimmen Kopfschmerzen am nächsten Morgen, ein „Filmriss“ oder Schlimmeres ist aber eher ungewöhnlich. Lieber als durchzechte Nächte ist ihnen ein Glas Wein – das bevorzugen sie sogar gegenüber einem Bier.

Neben kuriosen und witzigen Statistiken nimmt das Buch auch ernstere Themen ins Blickfeld, was durchwegs gut gelingt. Dafür sorgt zum einen die gelungene grafische Aufarbeitung, noch viel mehr jedoch die repräsentativen Umfragen, die einen Blick auf die Wirklichkeit im Land erlauben. Von September 2014 bis April dieses Jahres wurden zu jedem Thema mehr als 1000 Menschen befragt, aufgeteilt nach Alter, Geschlecht und Herkunft, sodass ein fundiertes Bild der deutschen Bevölkerung entstanden ist. So erklären sich auch die gegensätzlichen Meinungen unserer beiden Protagonisten.

Ben stammt aus dem Osten, er findet, dass einiges in der DDR besser war als heute. Emilia hingegen will keinen Soli mehr bezahlen, wie die Mehrheit der Bevölkerung im Westen. Die Unterschiede aber seien unter jungen Leuten wesentlich geringer als noch bei ihren Eltern, da sind sich Ost und West einig. Mit dem heutigen politischen System haben sie so ihre Probleme: Es sei nicht das Beste, das wir in Deutschland je hatten. Nur Freunde aus dem Nordwesten Deutschlands sehen die Bundesrepublik mehrheitlich positiv, unter Bens Verwandten im Osten tut das nur jeder Dritte. Welches System sie besser fänden, wissen sie nicht, eine Rückkehr zur D-Mark und eine Teilung Deutschlands befürworten die beiden zum Beispiel nicht.

In puncto Politik stellt das Buch Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus. Zwar könnten sich 55 Prozent der Deutschen vorstellen, Mitglieder in einer Bürgerinitiative zu werden, tatsächlich engagieren sich aber nur neun Prozent. Dagegen sind die Deutschen laut eigenen Aussagen gut informiert. Die meisten – 78 Prozent – erhalten ihre Informationen von den Fernsehnachrichten, 88 Prozent halten diese laut der Umfrage für vertrauenswürdig. Online suchen die Deutschen mehr als Information, 75 Prozent shoppen gerne im Netz, immerhin mehr als in Einkaufszentren in den Fußgängerzonen oder im Supermarkt.

Dabei ist unsere Emilia ihrem Ben natürlich überlegen, ihr macht Shopping mehr Spaß als ihm. Trotzdem: Viel Geld bleibt den beiden nicht, mehr 20 Prozent ihres Einkommens geben sie für Lebensmittel aus. Grund für ihre Kinderlosigkeit ist das jedoch nicht, das häufigste Hindernis haben die Beiden sogar schon überwunden, den richtigen Partner haben sie schon gefunden. Nur beeilen sollten sie sich ein wenig: Alte Mütter und Väter werden von den Deutschen wenig geschätzt, ebenso wie kinderfeindliche Erwachsene. Selbst in klassischen Konzerten sieht nur knapp ein Drittel der Deutschen Kinder fehl am Platz

Einigkeit besteht bei den Deutschen beim Kunstverständnis: „Manchmal stehe ich vor einem Kunstwerk und frage mich, was daran Kunst sein soll“, diesen Satz konnten 80 Prozent der Deutschen bestätigen. Es scheint, als hätte sich unser typisch deutsches Paar nicht auf einer Vernissage getroffen. Wahrscheinlicher ist eine erste Begegnung bei gemeinsamen Freunden. Und laut Statistik haben sich beide als Single eine feste Partnerschaft gewünscht – Ben sogar etwas mehr als Emilia.

René Bosch

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