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Neustart-Debatte: Koalition: Zurück auf Los

Die Koalition will beim Krisengipfel von vorn beginnen – das Wort vom Neustart macht die Runde. 

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Wolfgang Bosbach spricht es als Einziger offen aus. Während die Koalitionsspitzen das geplante Treffen der drei Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Guido Westerwelle (FDP) und Horst Seehofer (CSU) als Routineangelegenheit herunterspielen, redet Bosbach von einem „Krisengespräch“. Von diesem erhoffe er sich eine „Aufbruchstimmung, die für einen Neustart in der Koalition sorgt“, sagte Bosbach der „Bild“-Zeitung. Die Bürger dürften nicht den Eindruck gewinnen, „wir beschäftigen uns mehr mit uns als mit den Sorgen der Menschen“.

Bei dem Spitzengespräch am 17. Januar im Kanzleramt wollen die drei Parteichefs den Krach über Steuerentlastungen und die Rolle der Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach im Rat der Vertreibungsstiftung ausräumen, der die Koalition seit Wochen belastet. Hinzu kommt als neues Konfliktfeld der EU-Beitritt der Türkei. Ausgerechnet während Westerwelles erstem Besuch in Ankara und Istanbul muss der Außenminister sich Attacken aus der CSU gefallen lassen.

Dass nach dem monatelangen Gezänk ein Neustart der Koalition erforderlich sei, will Merkel jedoch so nicht formulieren. „Die Bundeskanzlerin bewertet die Arbeit der Koalition als gut, alles andere ist nebensächlich“, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans am Freitag. In die Welt gesetzt worden ist der „Neustart“ in den verschneiten Bergen des Tegernseer Tals. Ob Jürgen Rüttgers, NRW-Landeschef und CDU-Vize, über Weihnachten Ärger mit dem Computer daheim hatte, ist nicht bekannt; aber das Wort, die deutsche Version des „Reset“-Befehls, ging ihm offenbar im Kopf herum. Es fiel zum ersten Mal, als Rüttgers als Gast der CSU-Landesgruppe im Wildbad Kreuth über das Thema „Volkspartei“ referierte und deren zunehmende Probleme, das Volk an sich zu binden. Ein „Neustart“ sei hier aber durchaus möglich, befand Rüttgers. Später benutzte er das Wort wieder im Zusammenhang mit der, wie er sagte, „rein virtuellen“ Streiterei zwischen Union und FDP über Steuersenkungen ja / nein, ob, wann und wie hoch. Aber das Bild der Koalition insgesamt erinnert ja sehr stark an den jedem Computernutzer vertrauten Moment, in dem auf dem Bildschirm nur noch wirre Zeichen erscheinen. So wurde aus dem Ruf nach Neustart der Steuerdebatte – zurück auf null, nämlich den schlichten Wortlaut des Koalitionsvertrags mit seinen Wenns und Abers – in den Zeitungsüberschriften der Ruf nach einem Neustart für die gesamte Koalition.

Das ging zwar genau genommen zu weit. Aber auch das Volk scheint auf den Neustart zu warten. Die jüngste Infratest-Umfrage für den ARD-Deutschlandtrend weist darauf hin: Bei der Frage nach ihrer Zufriedenheit mit der Arbeit führender Politiker ließen die Bürger die Unionsvertreter in der Koalitionsspitze regelrecht abstürzen. Ursula von der Leyen kracht um 26 Prozent ein, selbst der neue Star Karl-Theodor zu Guttenberg verzeichnet sieben Prozent Popularitätsverlust. Aber das reicht immer noch aus, den Verteidigungsminister erstmals vor der Kanzlerin zu platzieren. Denn zum ersten Mal seit langem kann sich auch Angela Merkel nicht dem kritischen Urteil entziehen: Elf Prozent der Befragten entzogen ihr die Zufriedenheit – ein Rekordminus zurück auf Merkels mäßige Popularitätswerte zu Anfang der großem Koalition 2006.

Nachdem CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich der Kanzlerin zum Start ins neue Jahr mangelnde Führungsstärke bescheinigt hatte, lobt er nun zum Abschluss der Klausur in Kreuth, sie mache ihre Arbeit „ganz hervorragend“. Zugleich merkt er an, er gehe davon aus, dass sich das „dank ihrer Kommunizierung“ auch in den nächsten Tagen und Wochen so vermitteln werde. Anders formuliert: Bei der Kommunikation hapert es noch gewaltig. Auch Baden-Württembergs CDU-Generalsekretär Thomas Strobl sieht Merkel in der Pflicht. „Wir brauchen einen wirklichen Neustart“, sagte er. Frau Merkel habe dabei eine „integrierende Aufgabe, die Streitereien müssen aufhören“.

Doch ein Ende der Scharmützel ist nicht in Sicht. So warnte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt den FDP-Vorsitzenden Westerwelle davor, Geheimabsprachen mit der türkischen Regierung zu treffen. „Das sollte hier nicht passieren“, sagte er mit Blick auf die EU-Beitrittsverhandlungen. „Wir haben die Überzeugung, dass eine Vollmitgliedschaft der Türkei nicht möglich ist“, sagte Dobrindt. Westerwelle hingegen sprach vor Journalisten in Istanbul von „kleinkarierten Scharmützeln zwischen den Parteien“. Er wolle die „Politik der Zuverlässigkeit“ fortsetzen. „Deutschland hat ein massives Interesse daran, dass die Türkei nicht abdriftet, sondern sich reformiert“. Das gelte auch für die Wirtschaft, schließlich seien 4000 deutsche Unternehmen in der Türkei aktiv. Seinen innerkoalitionären Gegnern riet er, sie sollten „etwas mehr an Deutschland denken und etwas weniger an die eigenen parteipolitischen Interessen“.

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