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© Reuters

New York: Jenseits von Jemen

Vor 22 Jahren kam er nach New York, doch erst jetzt, seit sein Heimatland von Al Qaida infiltriert wird, ist die Kundschaft in Fedels Krämerladen neugierig geworden – und er zum Anwalt seiner doppelten Heimat.

Neben der Kasse seines Gemischtwarenladens Ecke Broadway hängt ein großes Schild, auf dem in vergoldeten arabischen Schriftzeichen Allah gepriesen wird. „Das ist meine Moschee hier“, sagt Fedel, 35, mit kehligem Tonfall in perfektem Englisch, und lässt seinen Finger kreisen, zeigt den ganzen Raum, in dem sich Zuckerpackungen neben Toilettenpapier, Kaffee, Müsli und Konservendosen auf langen Regalen stapeln.

Doch der Laden ist noch mehr als Fedels Moschee. Er ist, wie bei den meisten jemenitischen Händlern hier im Viertel Washington Heights am nördlichen Ende Manhattans, sein Leben. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit die Kunden etwas brauchen, die Läden von Fedel und den anderen sind immer offen. Und wenn sie ein paar Stunden zum Schlafen nach Hause gehen, überlassen sie die Kasse einem Cousin oder einem Neffen.

So sind sie einerseits voll integriert. Sie nehmen am Geschäftsleben teil, am täglichen Überlebenskampf im amerikanischen Kapitalismus. Andererseits aber auch wieder nicht. Ihr Privatleben nämlich findet woanders statt: einmal im Jahr für ein paar Wochen, wenn sie in den Jemen zu ihren Familien fahren.

Und das ist seit neuestem ein Thema – auch hier in Washington Heights.

Der Jemen, die neue Heimstatt des Terrors, der Ort, wo der Anschlag auf die Maschine 253 der Northwest-Airlines von Amsterdam nach Detroit geplant wurde, der letztlich vereitelt werden konnte. Ein Land, in dem die USA nach Anschlagsdrohungen ihre Botschaft für zwei Tage schlossen, ein Land, das unter der Wucht des islamistischen Terrors auseinanderzubrechen droht. Ein Land also, über das man viel hört und liest in diesen Tagen.

Und seit einer Woche wird auch Fedel auf seine Herkunft angesprochen. Davor hat sich keiner der Kunden interessiert. Davor war Fedel einfach Fedel, der freundliche Mann mit dem dichten Schnurrbart, der immer Zeit hat für ein Schwätzchen: mit der kleinen schwarzen Frau, die eine Telefonkarte für Afrika kauft, dem Schulkind, das sich auf dem Nachhauseweg eine Tüte Chips holt; mit dem Rechtsanwalt, der gerade das Haus am Fluss gekauft hat und der eine „New York Times“ möchte und mit dem puertoricanischen Bauarbeiter, der eine Flasche Bier und ein Lotterielos will.

Sie alle wussten vage, dass Fedel wie viele der Gemischtwarenhändler hier aus dem Jemen stammt. Aber die meisten haben mit diesem Land kaum etwas verbunden. Es war irgendwie exotisch und weit weg, vielleicht hatte man mal gehört, dass der Vater von Osama bin Laden von dort kam, aber auch das schon wieder vergessen. Jetzt jedenfalls hat man Fragen, und Fedel muss die beantworten. Er macht das gerne, auch wenn er sagt: „Ich bin vor allem Amerikaner.“

„Wir haben riesige Probleme im Jemen“, erklärt er dann, auch hier ein „wir“, während er nebenbei Lieferscheine abzeichnet und die Kunden abkassiert. „Die Einzigen, die uns dort helfen können, sind die Amerikaner.“ Je mehr sich die Amerikaner im Jemen engagieren – militärisch, wirtschaftlich, politisch – glaubt Fedel, desto besser sei das für das Land. Am wichtigsten sei wirtschaftliche Hilfe. „Das größte Problem im Jemen ist die Armut. Der Jemen kann nur stabil werden, wenn es dort keine Armut mehr gibt.“

Fedel ist in einem kleinen Dorf im Südwesten des Jemens aufgewachsen, wo sein Vater als Bauer gelebt hat. Doch das Land konnte die Familie nicht ernähren, Fedels Vater wanderte in die USA aus. Die Mutter und die Schwestern blieben zurück, nur Fedel kam nach. 1987 war das, Fedel war 13 Jahre alt. Es ist bis heute ein typisches Muster für jemenitische Einwanderer, dass allein Männer in die USA kommen, um Geld zu verdienen. Oft teilen sie sich Wohnungen und arbeiten rund um die Uhr, um Geld nach Hause zu schicken. Einmal im Jahr versuchen sie dann, für ein paar Wochen zu ihrer Familie zu fahren.

Auch Fedels Vater arbeitete schon in einem kleinen Krämerladen. In Brooklyn war das, wo damals die jemenitische Gemeinde konzentriert war, wo es bis heute vom Yemen Café über das Hadramaut Restaurant bis zur zwischendurch wegen verdächtiger Geldspenden aus dem Jemen in Verruf geratenen Al-Faruq-Moschee eine jemenitische Infrastruktur gibt. Als Brooklyn dann teurer wurde, zogen die ärmeren Bewohner weg, in den Norden Manhattans.

Washington Heights ist eine bunte Gegend, so bunt wie New York selbst. Fedels Kunden sind Latinos und Schwarze, Afrikaner, Europäer und Asiaten. Manche zahlen mit Lebensmittelmarken von der Wohlfahrt, manche mit Kreditkarten von American Express. Fedel behandelt alle unterschiedslos freundlich. Die Kinder bekommen einen Kaugummi umsonst, die alte schwarze Frau, die auf ihren Sozialhilfescheck wartet, bekommt bis zum ersten des Monats Kredit. Deshalb kommen sie alle gerne zu ihm.

Es ist das klassische New Yorker Integrationsmodell. Fedel kommt mit allen aus, weil er mit ihnen Geld verdient. Kommerz gebiert Toleranz, die Differenzen spielen keine Rolle, wenn es um den Dollar geht.

Es ist ein Arrangement, das vielleicht nicht sehr tief geht, aber es funktioniert. Deshalb hat Fedel keine Schwierigkeiten. Nicht nach dem 11. September und auch nicht jetzt. Man versteht hier, oft, weil man ähnliches selbst erlebt hat, dass ein guter Muslim und Araber zu sein und ein guter Amerikaner zu sein, sich nicht widersprechen muss. „Ich habe noch nie Probleme gehabt“, sagt Fedel.

Die Existenzgründung in der neuen Heimat funktionierte nach dem klassischen New Yorker Einwanderer-Prinzip: Fedels Vater bekam einen Job bei anderen Jemeniten, die vor ihm gekommen waren. So lange, bis er seinen eigenen Laden gründen konnte. Das Geld wurde zum Teil nach Hause geschickt, zum Teil dafür zurückgelegt, dass der Sohn einmal eine gute Ausbildung in den USA bekommen kann. Der Sohn schaffte es bis aufs College, dann kam die Wahrung der Tradition dem amerikanischen Traum ins Gehege: Fedel wurde bei einem der jährlichen Besuche im Jemen verheiratet, Kinder kamen, er musste Geld verdienen.

Heute hat er fünf Kinder, die alle im Jemen leben, die er ernährt, so wird das erwartet, im Jemen schätzen sie diese Art der Unterstützung, sie ist gesellschaftlich akzeptiert. Man ist amerikafreundlich im Jemen, die Regierung setzt im Kampf gegen den Terror auf die Hilfe des Westens. Und Fedel setzt für die Erfüllung des amerikanischen Traums auf die nächste Generation. Jetzt sollen seine Kinder den Aufstieg schaffen, den er nicht schaffte, von dem sein Vater schon dachte, er würde ihn schaffen. Für ihn ist Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten geblieben – auch wenn er trotz seines immerhin angefangenen Studiums sieben Tage in der Woche Sandwiches, Lottoscheine, Bier und Zeitungen verkaufen muss. Schon als er klein war, habe er von Amerika geträumt, sagt er. Dass er jetzt hier ist und sogar die Staatsbürgerschaft hat, ist sein ganzer Stolz.

Auch er trägt wie schon sein Vater den Zwiespalt zwischen der alten und der neuen Heimat in sich. Das gibt er nicht gerne zu. Lieber singt er das Hohelied auf Amerika. Jeder im Jemen möchte nach Amerika kommen, behauptet er, jeder dort möchte Amerikaner sein. Jeder möchte so sein wie er und die etwa 12 000 anderen Jemeniten, die in den USA leben, vor allem in New York und in Detroit.

Als junger Mann hatte Fedel sich freiwillig zur US-Army gemeldet. Man hat ihn nicht genommen, weil sein Gehör zu schlecht war. Eine Tatsache, die ihn heute noch ärgert. Ob er heute immer noch gehen würde, obwohl die Amerikaner in seiner Heimat kämpfen? „Selbstverständlich“, sagt er, „jetzt besonders.“

Fedel ist gläubiger Muslim, wenn er kann, dann hält er die Gebetszeiten in seinem Laden ein, sperrt für zehn Minuten das Geschäft ab, zieht ein Stück Pappkarton hervor, kniet sich nieder und betet. In die Moschee geht er aber nicht, dazu hat er keine Zeit. Die religiösen Fanatiker, die Fundamentalisten, die Rückwärtsgewandten im Jemen, die Amerika hassen, das ist für ihn eine verrückte Minderheit, mit der nichts zu tun haben will. „Wenn man an Allah glaubt, tötet man nicht“, sagt er. „Wir müssen uns doch alle gegenseitig respektieren.“

Sebastian Moll[New York]

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