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© GETTY IMAGES NORTH AMERICA

New York: Zuhören ist erste Bürgermeisterpflicht

Michael Bloomberg beginnt seine dritte Amtszeit in New York – und gibt sich bescheiden.

Der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg, der am Neujahrstag seine dritte Amtsperiode angetreten hat, war in den letzten Monaten nicht gerade mit großer politischer Fortune gesegnet. Viele seiner ehrgeizigen Umwelt-Initiativen, wie etwa ein Energiespargesetz für die Wolkenkratzer der Stadt oder eine Gebühr für das Autofahren in der Innenstadt, wurden abgelehnt. Seinen groß angelegten Städtebauprojekten ist in der Wirtschaftskrise die Finanzierung ausgegangen. Und die Wahl im vergangenen Herbst gewann er nur mit einer knappen Mehrheit, obwohl er für den Wahlkampf beinahe fünfmal so viel ausgegeben hatte wie sein Herausforderer. So zeigte sich Bloomberg am Freitag auch bescheiden. Er müsse in Zukunft nicht nur Führungsstärke zeigen, sondern den Bürgern auch zuhören, sagte der Bürgermeister zum Amtsbeginn.

Bei aller Demut war Bloomberg überaus dankbar für eine erfreuliche Statistik, die kurz vor Neujahr aus der Zentrale des FBI kam. Die Bundespolizei hatte ermittelt, dass die Mordrate in New York im Jahr 2009 die niedrigste seit 1963 war. New York ist mit Abstand die sicherste Großstadt in den USA. Während die Mordrate im nationalen Durchschnitt um zehn Prozent sank, verringerte sie sich in New York im vergangenen Jahr um 19 Prozent. Das ist nationaler Rekord.

Die Statistik ist auch deshalb so bemerkenswert, weil zu Beginn der Wirtschaftskrise am Ende des Jahres 2008 viele der Stadt New York vorausgesagt hatten, dass die Kriminalität wieder ansteigt und die schlimmen Zeiten zurückkommen, in denen man sich seines Lebens oder zumindest seines Geldbeutels nie ganz sicher sein konnte. New York hat durch den Crash an der Wall Street mehr Arbeitsplätze verloren als die meisten anderen amerikanischen Städte. Die sozialen Dienste und vor allem auch die Polizei mussten empfindliche Kürzungen hinnehmen. Und doch ist New York so friedlich wie noch nie. Den oft behaupteten Zusammenhang zwischen Verbrechen und wirtschaftlicher Not scheint es also zumindest in New York nicht zu geben.

Natürlich würde Bloomberg diesen Erfolg gerne seiner Politik zuschreiben. So weist er immer wieder auf seine restriktiven Waffengesetze hin – die Quote von Waffenbesitzern in New York liegt weit unter dem nationalen Durchschnitt.

Und dennoch liegen die Ursachen des dramatischen Rückgangs der Gewaltverbrechen in New York lange vor der Amtszeit von Bloomberg. Die Zahlen sinken seit dem Jahr 1990, als 2245 Morde in New York passierten. Im Jahr 2009 war die Zahl auf 461 gesunken. In Stadtvierteln wie East New York oder Washington Heights, in denen man sich vor 20 Jahren kaum vor die Tür getraut hatte, spazieren heute zu später Stunde Frauen unbekümmert alleine von der U-Bahn nach Hause.

Die Trendwende wird gemeinhin Bloombergs Vorgänger Rudy Giuliani zugeschrieben, der sich weigerte, wie seine Vorgänger gegenüber der Gesetzlosigkeit auf New Yorker Straßen zu kapitulieren. Er straffte die Polizeiorganisation, vor allem aber führte er seine berühmte „Null-Toleranz-Politik“ ein. Schon kleine Ordnungswidrigkeiten wie das Anbringen von Graffiti, öffentliches Urinieren, öffentlicher Alkoholgenuss oder Schwarzfahren in der U-Bahn wurden hart bestraft.

Kaum jemand bestreitet, dass Giulianis Strategie wirksam war. Dennoch wundern sich die Soziologen bis heute, dass die Verbrechensstatistiken so dramatisch nach unten wiesen. Zwischen 1990 und 1996 ging die Kriminalität in New York um zwei Drittel zurück. Und der Trend hält trotz mehrerer Wirtschaftskrisen in der Zwischenzeit bis heute an.

Es gibt für dieses Phänomen bislang keine wirklich schlüssige Erklärung – nicht zuletzt, wie die „New York Times“ bemerkte, weil die kriminologische Forschung nur unzureichend Mittel zur Verfügung hat. So schießen die Spekulationen ins Kraut. Eine Theorie besagt, dass die Verlängerung der Gefängnisstrafen Ende der achtziger Jahre die Verbrecher von der Straße ferngehalten hatte. Allerdings vermag diese Theorie weder zu erklären, warum der Rückgang so dramatisch war, noch, warum er ausgerechnet in New York so außergewöhnlich drastisch verlief.

Die beliebteste und vielleicht auch plausibelste These ist die des Journalisten und Pop-Soziologen Malcolm Gladwell. Gladwell behauptet, dass menschliche Verhaltensweisen den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie Epidemien unterlägen: Sie sind hochgradig ansteckend. Deshalb sei es auch nicht nötig, das Verbrechen mit der Macht des Gesetzes und der Polizei völlig auszuradieren. Es reiche vielmehr aus, dass ziviles, nicht-kriminelles Verhalten einen bestimmten kritischen Punkt überschreitet. Ab da breite es sich aus, wie ein Virus. Die „Null-Toleranz-Politik“ von Giuliani, so Gladwell, habe nicht das Verbrechen beseitigt, habe aber ausgereicht, um das Gleichgewicht kippen zu lassen.

Sebastian Moll[New York]

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